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Österreich-Serie Teil 2 von Elisabeth Kaplan

Was macht man, wenn man einen Überraschungshit hatte und nun die Erwartungen hoch sind, diesen Erfolg zu wiederholen? Oder gar zu übertreffen? Da gibt es zwei Möglichkeiten. Der gelassene Ansatz: Man denkt: „Egal, ich mach einfach weiter wie immer“, und hält die Daumen, dass schon alles gut laufen wird. Der kalkulierte Ansatz: Man studiert und recherchiert, geht ein kalkuliertes Risiko ein, und hofft, dass der Plan aufgeht. So oder so weiß man nie, wie es wirklich ausgeht.

Von der Kunst, einen Hit zu schreiben
The MakeMakes, eine 2012 gegründete Rockband aus dem Flachgau (Land Salzburg), haben letzteren Ansatz gewählt. Mit ihrer ersten Single, „Lovercall“ (2012), die etwas von „This Love“ (2002) von Maroon 5 hat, ist der Band das schier Unmögliche gelungen: Sie schaffte es in die österreichischen Pop-Charts und kletterte auf Platz 6 – ganz ohne Casting-Show, wie es in diesem Land inzwischen üblich ist. So. Und jetzt?

Die zweite Veröffentlichung nach einem erfolgreichen Erstlingswerk ist ja bekanntlich extrem wichtig und daher auch eine Herausforderung, die einen ganz schön unter Druck bringen kann. Da zeigt sich, ob der erste Hit ein reiner Zufall war, oder ob es sich um eine solide, hochwertige Band handelt. Die zweite Single der MakeMakes, „Million Euro Smile“ (2014), hat alle Erwartungen übertroffen, hat Platz 2 in den österreichischen Top 40 erreicht und liegt derzeit auf Platz 5 in den Ö3 Hörercharts. Eine beachtliche Leistung!

The MakeMakes in Wien

The MakeMakes in Wien (Foto: Benjamin Kaplan)

Einen Song zu schreiben mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass das ein Hit werden soll, ist keine leichte Aufgabe. Natürlich gibt es einige Vorgaben und Parameter, nach denen man sich richten kann. Einige davon liegen auf der Hand, wie z.B. eine eingängige Melodie. Letztendlich ist die Reaktion der Zuhörer aber unberechenbar.

Retro-Sound
Für „Million Euro Smile“ haben sich The MakeMakes vom Rock ’n’ Roll und dem klassischen Motown-Sound inspirieren lassen. Die Musik der 50er und 60er ist immer wieder eine ergiebige Fundkiste, in der gerne gewühlt wird. In den 80ern, zum Beispiel, hatte Billy Joel großen Erfolg damit, mit seinem Album „An Innocent Man“ (1983), allen voran die Nummern „Uptown Girl“ und „Tell Her About It“. Dieser Retro-Stil brachte auch Soulsister Glück, mit ihrem Hit „The Way to Your Heart“ (1988). In Großbritannien hat man anscheinend überhaupt ein Faible dafür: In den 90ern hatte beispielsweise Gabrielle mit ihrem Motown-inspirierten Song „Give Me a Little More Time“ (1996) einen Chart-Erfolg, in den Nullerjahren folgten Amy Winehouse und Duffy, und 2012 konnte die englische Girl-Band Stooshe mit „Black Heart“ einen UK-Hit verzeichnen.

Der Vorteil eines Songs im Retro-Stil ist, dass er einem sofort irgendwie bekannt vorkommt. Songs, die extrem innovativ und originell sind, bekommen oft nicht die gebührende Aufmerksamkeit, weil sich die Zuhörer einfach an Neues erst gewöhnen müssen – was mit einer gewissen Anstrengung verbunden ist.

Übereinstimmung und Abweichung
„Million Euro Smile“ ist also ein einfacher Retro-Song mit Elementen aus Doo Wop, Rock ’n’ Roll, Motown – z.B. die „La-da-da“-Einleitung, die schnellen Akkordwiederholungen à la Jerry Lee Lewis im Klavierpart, der betonte Backbeat in den Drums, der Bläsersatz (übrigens ein Beitrag von LaBrassBanda) … die Liste ist noch lang nicht fertig.

Interessanter ist es vielleicht, die Abweichungen vom Retro-Schema hervorzuheben: Was mir als erstes aufgefallen ist, war der extrem komprimierte Vocal-Sound. Ich glaube nicht, dass es der Gedanke dahinter war, einen „Vintage-Sound“ zu reproduzieren – das würde anders klingen – sondern eher der Stimme zusätzliche Schärfe zu verleihen, um zu vermeiden, dass der Song letztendlich zu lieb und nett wirkt (leider geht das auf Kosten der Textverständlichkeit). Zweitens, kommt am Ende des zweiten Refrains ein kurzer Halftime-Teil vor (ab 2:02) mit einem langen Delay auf den Vocals. Diese paar Augenblicke setzen sich vom Rest ab, weil sie plötzlich viel moderner klingen. Sie bieten uns eine kurze Verschnaufpause – ungefähr so wie der Augenblick des Stillstands auf dem Höhepunkt einer Achterbahn, bevor man wieder mit Full Speed bergab rauscht.

The_Makemakes_official

Foto: Rene Deutschlaender

Die dritte Abweichung von der Norm, die mir auffällt, ist der Text. Er handelt nicht, wie üblich für diesen Stil, von der Liebe, sondern vom Euro. Ja, richtig. Dodo Muhrer, Sänger und Songwriter der Band, erklärt im Interview, dass der Song „zu dem Zeitpunkt entstanden [ist], wo die EU-Mitgliedsstaaten überlegt haben, wie es eigentlich mit dem Euro weitergehen soll.“ Ich persönlich finde diesen höheren textlichen Anspruch nicht nötig, aber ich denke, dass die Band einfach vermeiden wollte, dass der Song in die Bubblegum-Schiene abrutscht.

Resümee
Dieser Salzburger Band ist es gelungen, einen Song zu schreiben, der zum Hit in Österreich wurde. Das ist wirklich nicht einfach, aber sie haben sich mit Köpfchen der Herausforderung gestellt und wurden belohnt. Im Herbst erscheint ihr Debüt-Album und man darf gespannt sein. Da ich weiß, dass die Burschen echt rocken können, hoffe ich, dass sie das auch auf dem Album beweisen.

Die englische Originalfassung dieses Beitrags gibts hier zu lesen

Und hier gibts das Video zum Song: Million Euro Smile

von Elisabeth Kaplan

In letzter Zeit wurde viel darüber geredet und geschrieben, welchen Stellenwert österreichische Musik im eigenen Land hat. Dafür hat der Fall Doris Lichtenegger gesorgt. Ich möchte mich deshalb in einer mehr-teiligen Serie mit österreichischen Bands beschäftigen.

Dieser Beitrag ist Teil 1 meiner Österreich-Serie und ich möchte mich dem Song „Maschin“ von Bilderbuch widmen. Für mich ist Bilderbuch die derzeit aufregendste Band in der österreichischen Popmusiklandschaft, weil sie so viel Gutes in sich vereint: Originalität, Mut, Intelligenz, makellose Produktion, und einen Leadsänger mit einer ordentlichen Portion Bühnenpräsenz. Die Band gibt es zwar schon seit neun Jahren, aber erst jetzt bekommen sie breitere Anerkennung mit ihrer Single „Maschin“ (von der EP „Feinste Seide“).

Während ihre früheren Alben eine immense jugendliche Energie ausstrahlten, sind die jungen Männer von Bilderbuch jetzt reifer und haben zu einem Sound und Stil gefunden, der auch mainstreamigere Zuhörer anspricht, ohne ihren punkigen Background zu verleugnen. Für mich klingt es, als wären sie jetzt angekommen. Und das wird belohnt mit stetig wachsendem Erfolg, Auszeichnungen und beeindruckenden 579.134 Klicks (stand von heute, über 2.000 Klicks mehr als gestern) auf YouTube für „Maschin“.
Bilderbuch
Nach dem internationalen Erfolg von Falco (1985-87), fiel die österreichische Popszene scheinbar in eine Depression, und Falcos extravagante Präsenz geht einfach ab seit seinem Tod im Jahre 1998. Hat vielleicht Maurice Ernst, der Frontman von Bilderbuch, das Zeug dazu, dieses Loch zu füllen? Er stolziert auf der Bühne herum mit einer Attitüde und einer Theatralik, die sonst nur den ganz Großen vorbehalten ist. Und es bedarf einer ganz speziellen Art des Selbstbewusstseins, um dieses Jackett, das er bei den Amadeus Awards getragen hat, zu rocken (www.youtube.com/watch?v=vsvrABRqgI8).

Schauen wir uns also den Song an: Obwohl die Texte von Bilderbuch oftmals fast surreale Bilder enthalten, die nicht verstanden werden können/wollen, glaub ich den Text von „Maschin“ zumindest oberflächlich begriffen zu haben. Grundsätzlich geht es um einen Typen, der ein Mädl aufgabeln will, indem er sie auffordert in seinen fetten Schlitten einzusteigen. Wenn allerdings der Refrain kommt, scheint es, als würde es sich eher um eine Liebesaffäre mit seinem Auto, seiner „Maschin“ handeln. Das Video (featuring einen quietsch-gelben Lamborghini!) unterstreicht diese Idee. Musikalisch gesehen, verstärken vor allem die Vocals die nicht zu leugnende Schwüle des Songs. Und meiner Meinung nach kommt der neue Sound der Band dem Sänger sehr entgegen und er kann jetzt seine stimmlichen Stärken richtig zeigen.

Die Basslinie spielt eine tragende Rolle in dem Song. Sie scheint so einfach, wenn man sie notiert sieht, aber sie ist trotzdem so raffiniert im Gesamten, dass man glatt übersehen könnte, dass es sich hier um die einfachste aller Akkordfolgen handelt, nämlich I – V – IV – I (Cm – Gm – Fm – Cm). Der Gitarrenriff, immer mit einem Synth gedoppelt, bildet das zweite prägende Element. Der Riff kommt im Intro und im Zwischenspiel zwischen der ersten und der zweiten Strophe in einer gekürzten Version vor; in seiner vollständigen Form im Refrain. Der Song basiert also auf einer zumeist unveränderten Basslinie, einem Gitarrenriff und einer einfachen Akkordfolge. Aber er ist trotzdem weder langweilig noch banal.
Maschin Akkorde
Der einprägsamste Teil des Songs ist natürlich der Refrain. Das erste, das auffällt, ist die Silbenrepetition (“Lala-la-la-lala-lass mich nicht los/Lele-le-le-lele-leg dich zu mir/Haha-ha-ha-haha-halt mich fest”). Dieses Stilmittel wirkt immer verspielt oder ironisch und macht uns auch hier deutlich, dass das alles nicht so ernst gemeint ist. Nach dieser Flut an Silben in den ersten drei Zeilen des Refrains, lassen Bilderbuch die Melodie in der vierten Zeile auf dem zweisilbigen Wort ¬– und Songtitel – „Maschin“ stehen: Eine effektive Methode, die Aufmerksamkeit auf das Wort zu lenken; es setzt sich von dem vorigen Gebrabbel ab und bekommt mehr Gewicht. Und hier noch eine Anmerkung zur Melodie im Refrain: Eine banale Melodie würde sich im Bereich der Tonika, Terz oder Quint der betreffenden Akkorde aufhalten. Bilderbuchs Refrain aber besteht großteils aus Tonwiederholungen auf dem B, das zuerst die Septim (von C-Moll) und dann die Quart (von F-Moll) darstellt. Dies erzeugt Spannung, wodurch die Aufmerksamkeit der Zuhörer gehalten wird.

Ich bin jedenfalls neugierig, was diese vier Herren als Nächstes machen. Mir würde es durchaus gefallen, wenn sie weiter in ihrer Trickkiste graben, um entsprechenden Nachschub in diesem Stil zu liefern, und dann so richtig groß werden. Ich halte also die Daumen, dass sie von den richtigen Leuten beraten und unterstützt werden und kluge Entscheidungen treffen.

Die englische Originalfassung dieses Beitrags gibts hier zu lesen:
Elisabeth Kaplan’s Blog