von Elisabeth Kaplan
Mama hat mir beigebracht, dass ich mich für ein Geschenk immer bedanken muss und höflich lächeln soll. Papa hat mir beigebracht, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut. Aber Opa hat immer gesagt: Was nix kostet, ist nix wert. Und von Vergil weiß ich, dass ich bei Geschenken vorsichtig sein soll – denn vielleicht verbirgt sich etwas anderes dahinter.
Bei den Diskussionen um das neue U2 Album „Songs of Innocence“ geht es weniger um die Musik als um die Vertriebsmethode. Und auch ich fühle mich nicht dazu inspiriert, über den musikalischen Inhalt des Albums zu schreiben. Ich konnte mich mit U2 noch nie anfreunden und dieses Album wird mich bestimmt nicht bekehren. U2 ist eine Band, die man entweder liebt oder hasst. So kann man davon ausgehen, dass bei den 500 Millionen zwangsbeglückten iTunes-Usern viele dabei sind – sagen wir einfach mal die Hälfte – die die Musik von Haus aus nicht mögen. Und sogar bei der anderen, grundsätzlich U2-affinen Fraktion sind viele verärgert über die Art und Weise wie das Album vertrieben wird. Seien wir ehrlich, das, was uns U2 und Apple als „Geschenk“ verkaufen wollen ist wohl eher mit dem sich geräuschlos nähernden, schlagartigen Angriff einer Tarnkappendrohne zu vergleichen.
In einer Industrie, die sich immer mehr anstrengen muss, Menschen dazu zu bewegen, Geld für Musik auszugeben, nehmen die PR-Gags immer neue Formen an. Letztes Jahr zum Beispiel hat sich Jay Z mit Samsung für eine Marketingkampagne zusammengetan: Die Besitzer von gewissen Galaxy-Modellen hatten die Möglichkeit, sein neues Album „Magna Carta Holy Grail“ ein paar Tage vor dem eigentlichen Release gratis zu downloaden. Dazu war es notwendig, sich mittels App anzumelden, und die Aktion beschränkte sich auf eine Million Downloads. In dem Fall konnte man eher von einem „Geschenk“ sprechen, denn nur Jay Z-Fans werden das Angebot in Anspruch genommen haben und die haben sich sicher darüber gefreut, zu dieser exklusiven Gruppe zu gehören und als erster ein Album zu besitzen, das auch in weiterer Folge sehr erfolgreich war.
Bei dem Guerilla-artigen Angriff von U2/Apple kommen zurecht unbehagliche Gefühle hoch. Es tun sich einige Fragen auf. An vorderster Stelle: Warum? U2 und Apple antwortet: „Es ist ein Geschenk!“ Aber so etwas gibt es in der Businesswelt nicht – nicht ohne Hintergedanken. U2 profitieren eindeutig. Sie haben von Apple ihr Honorar bekommen, die Verkaufszahlen von ihren älteren Alben haben zugenommen, sie sind wieder präsent in den Medien und sie konnten diese Aufmerksamkeit nutzen, um das bevorstehende Gegenstück, „Songs of Experience“, anzukündigen. Was der Vorteil für Apple ist, ist mir nicht klar und das finde ich unheimlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Firma einige Millionen Dollar ausgibt, ohne sich irgendeinen Nutzen zu erhoffen. Ist ihnen die reine, durch die Aktion erzielte Publicity so viel wert?
Vielleicht stimmt es ja, dass sogar negative Publicity einen positiven Effekt hat. Aber für mich ist die Tatsache, dass mir Apple die Entscheidungsfreiheit genommen hat, ob ich denn auf „Download“ klicke oder nicht, äußerst bedenklich. Aber vielleicht hat uns die Firma mit ihrer sehr öffentlichen Vorführung eines unerwünschten, unerlaubten Eingriffs auf unsere digitalen Geräte einen Gefallen getan, indem sie uns für das Thema Cyber-Sicherheit sensibilisiert. Und vielleicht ist das das eigentliche Geschenk.