Die Leiden des jungen Christian N. Kapitel 5 – Die chemische Keule

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von Christian Namberger, Oberinspektor i.R.

Letztens erzählte ich ja von dem Martyrium der Biopsie und der darauffolgenden Diagnose nach einer Woche. Diese erhielt ich an einem Freitag, zusammen mit dem Einrückbefehl ins Krankenhaus am Montag. Die liebe Anjabella, meine älteste Freundin, lud mich aufgrund ihrer Herzensgüte am Samstag zum Abendessen beim Italiener ein.

Zusammen mit Robert & Robert (ich weiß, klingt wie ein 70er-Jahre Schlagerduo) fuhr ich in die Stadt zum Italiener, wo wir uns mit meiner Gönnerin treffen wollten. Ich schreib deshalb wollten, weil mir beim Einfahren in die Tiefgarage schon schummrig wurde. Da ich gratis ja sehr liebe, wollte ich unbedingt durchhalten. Das Geschaukel im Lift gab mir allerdings den Rest und ich brach gleich nach dem Aussteigen zusammen. Ich mitten im geschäftigen Trubel am Boden liegend. Ich kam relativ schnell wieder zu mir, allerdings wurde schon der Notarzt gerufen, der mich gleich abtransportierte. Somit kam ich ums leckere Essen. Erwähnte ich schon, dass ich Einladungen liebe? Im Krankenhaus fanden sie nichts und entließen mich nach Hause, ich sagte denen auch von meinem Einchecken am Montag.

Brav begab ich mich wie gewünscht ins Krankenhaus und bezog mein Zimmer. Da die Onkologie neu baute, war ich noch im Altbau. Ich liebe normalerweise Altbau, aber diese Bude war dermaßen finster, ich hatte ein Zimmer zum Hinterhof im 60er-Chic. Aber das war mir eigentlich egal, Hauptsache Einzelzimmer. Wenn ich eine Liste samt Foto von den momentan anwesenden Patienten bekommen hätte mit freier Wahl, dann wär es was anderes. Aber so …

Mager und kahl – so war ich nach der Chemo

Mager und kahl –
so war ich nach der Chemo

Gespannt war ich schon auf die Behandlung. Man hört und liest ja soviel von Krebstherapien. Leider meist Schlechtes. Ich musste zehn Tage warten, bis die für mich passende Chemotherapie zusammengestellt wurde. Ich dachte, die fangen gar nicht mehr an. So viel Blut wurde mir noch nie abgenommen. Na ja, ich hatte ja meine Ruhe und konnte mein seichtes Fernsehprogramm sehen und das Essen war auch gut. Nach zehn Tagen, wie gesagt, ging es los. Normalerweise hört man immer, dass die Patienten vier Stunden am Tropf hängen und dann nach Hause gehen. Bei mir waren es drei Flüssigkeiten vier Tage rund um die Uhr, noch tragischer klingt es bei 96 Stunden! Eine Flüssigkeit wurde sogar mit einer elektrischen Pumpe in mich befördert. War natürlich sehr umständlich, mit dem Infusionsständer und der Pumpe um den Hals auf die Keramik zu gehen. Mit dem typischen halben Nachthemd schritt ich mit nackten, aber doch wohlgeformten Hintern ins Bad.

Demis RoussosDie erste Chemo empfand ich wie einen Jungbrunnen. Mir ging es fabelhaft und ich hatte noch mehr Appetit. Nach den besagten 96 Stunden konnte ich am darauffolgenden Tag nach Hause. Nicht krankgeschrieben, wie die meisten Chemotherapeutler, ging ich in die Arbeit. Ich fühlte mich auch fit genug. Meiner Erinnerung nach erzählte ich schon, dass ich Versicherungsberater im Außendienst war. Mein Beritt war sehr groß, eigentlich das ganze Salzburger Bundesland, mit vielen lieben und treuen Kunden. Für die Servicierung dieser fuhr ich viele Kilometer mit meiner havannabraunen, bayrischen Eleganz, ein kostengünstiger Turbodiesel.

Im Dreiwochen-Rhythmus gings dann zur 96-Stunden-Chemo. Das ganze für acht Zyklen, also bis Ende des Jahres. Mir fielen die Haare während der ersten zwei Chemos nicht aus und ich dachte, dieser Kelch geht an mir vorüber. Schließlich ist silbernes Haupthaar im Versicherungsverkauf opportun. Aber bei der dritten Chemo gings dann doch los mit dem Haarausfall. Der ganze Körper, bis auf den Schritt. Da komischerweise nicht. Nach dem dritten Chemozyklus ging ich auch schlechter. Ich dachte, das liegt an meiner Gewichtsabnahme auf 80 Kilo und dem langen Liegen. Mein damaliger Hausarzt sagte zu mir, dass nach der Chemo die Polyneuropathie sich zurück bildet. Poly… was? Es stellte sich raus, dass diese Art der Chemo ein Nervenleiden namens Polyneuropathie auslösen kann, aber nicht muss. Ich hab da scheint’s gleich hier geschrien. Nach sechs Zyklen war ich krebsfrei, jedoch meinte der Professor, es wäre klug, noch zwei anzuhängen. Das bejahte ich natürlich und war froh, dass der Krebs erfolgreich besiegt wurde. Leider verschwand durch die Chemo auch die Libido. Da hätte sonst wer nackig neben mir auf und ab hüpfen können, ich hätte nur lapidar „pfff, und?“ gesäuselt. Und das mir! In der Blüte- und Halbzeit meines Lebens. Aber es sollte noch schlimmer kommen, davon erzähle ich nächste Woche. Von den zwei großen I. Wird grauslich, zarte Gemüter lassen das nächste Kapitel am besten aus.

Für das heutige Ende bemühe ich den guten, alten Demis Roussos mit seinem damaligen Platz 1 Hit „Goodbye My Love, Goodbye“. Passend zum Brachliegen meiner Lust.

Die Leiden des jungen Christian N. Teil 4