Die Mafia der Wall Street
Schon in den ersten zwei Minuten stellt die Hauptfigur dem Publikum vor, wie sein Leben so aussieht: Er besitzt alles, was man besitzen kann – vom riesigen Anwesen über eine Yacht bis zum Luxusgeschöpf von Ehefrau. Aber es hat auch alles seine schmuddelige Seite, denn er säuft wie ein Loch, kokst immer und überall und kauft sich täglich Sex. Total zugedröhnt setzt er seinen (eigenen) Hubschrauber recht unsanft aus fünf Metern Höhe am Boden auf.
The Wolf of Wall Street beschreibt den Aufstieg eines jungen Mannes [Leonardo DiCaprio] aus kleinen Verhältnissen zu einer berühmt-berüchtigten Persönlichkeit an der Wall Street. Er besitzt ein Überzeugungstalent, mit dem er alles verkaufen kann. Dabei beginnt seine Karriere gar nicht vielversprechend. Seinen Job als zugelassener Börsenmakler tritt er ausgerechnet am 19. Oktober 1987 an. Wegen des gewaltigen Börsencrashs ist dieser Tag als der Schwarze Montag bekannt. Der junge Mann, Jordan Belfort, verliert gleich wieder seinen Job und muss sich daraufhin damit begnügen, abseits der Wall Street sogenannte Penny Stocks zu verkaufen. Die Preise dieser Schrottaktien liegen bei wenigen Cents, aber bei Provisionen von satten 50 Prozent muss man nur ausreichend umsetzen. Dann füllen sich die Taschen des Maklers trotzdem gut. Und so bringen diese Geschäfte Jordan 70.000 Dollar im Monat ein. Wenn kümmert’s, dass er seinen Kunden Dreck verkauft. Aber Jordan will mehr und gründet seine eigene Firma. Er schart eine Gruppe Leute um sich – keine Leuchten, aber sie sind geil auf Geld und können verkaufen. Die Firma ist erfolgreich und wächst. Nach richtig guten Tagen tanzt eine Parade von Blasmusikern (halbnackt), Huren (ganz nackt) und kleinwüchsigen Menschen (in Wurfzwerg-Berufskleidung: Overalls und Sturzhelm) durch das ganze Büro. Es wird viel getrunken, gebumst und gekokst – mitten im Büro und eigentlich den ganzen Tag über. Freilich sind auch die Geschäfte nicht durchwegs legal und das FBI wird bald auf die dubiosen Makler aufmerksam.
Diese Geschichte wurde von Martin Scorsese als recht schmissige Satire inszeniert und Leonardo DiCaprio spielt hervorragend den Mafiaboss Jordan Belfort. Hab ich da eben Mafiaboss geschrieben? Er ist natürlich Börsenmakler. Trotzdem habe ich den ganzen Film über einen Film-Mafiaboss vor mir gesehen – mit allem dazugehörigen Gestus, Habitus und Lebensstil. Die Figur des Jordan Belfort könnte direkt aus etlichen anderen Scorsese-Filmen stammen. Und das ist nicht das Einzige, das mir bekannt vorkam. Auch die Geschichte vom Aufstieg eines Mannes, der seine Bodenhaftung völlig verliert, sich als unverwundbar einschätzt und daher sehr tief fällt nimmt seinen ganz konventionellen Verlauf. Bei so viel Lob und so vielen Nominierungen für alle möglichen Preise hatte ich mich auf Originelleres eingestellt. Es geht zwar ganz amüsant dahin, manchmal sogar recht schräg und aberwitzig, trotzdem ist The Wolf of Wall Street nicht so richtig kurzweilig, dass man ihm die Überlänge nicht anmerkt – immerhin 2 Stunden 59 Minuten, wenn man es ganz genau nimmt. Zu sehr geht es ständig um Drogen-, Alkohol- und Sex-Exzesse und um Männer, für die Geld Macht bedeutet, und dort wo noch mehr Machtdemonstration nötig ist, wedeln sie nicht nur mit ihrem Geld herum, sondern mit dem, was sie in der Hose haben (oft nur verbal – typisch). Das wird ein bisschen anstrengend, wenn man nicht gerade eine besondere Vorliebe für Vulgarität hat.
Übrigens, The Wolf of Wall Street beruht auf einer wahren Geschichte. Jordan Belfort verbrachte wegen Betrugs und Geldwäscherei vier Jahre im Gefängnis. Er hat Anleger um viel Geld gebracht und muss insgesamt 110 Millionen Dollar Schadenersatz leisten. Selbst als hochbezahlter Motivationstrainer und Buchautor wird er die Summe noch eine Weile abstottern müssen. Die Filmrechte haben ihm jedenfalls einiges eingebracht. Ich frage mich: Ist er auch an den Einspielergebnissen beteiligt? Wenn ja, dann hier mein Aufruf: Helft den Opfern Jordan Belforts und kauft euch alle ein Kinoticket für diesen Film! Dann kann sich auch jeder selbst ein Bild darüber machen und darf mir widersprechen.
Meine Bewertung auf IMDB: 7 Punkte
Tolle Bilder, tolle Ausstattung, tolle Schauspieler, aber die Story bringt nichts Neues. Ich hätte mich gerne überraschen lassen. Richtig sehenswert ist aber der Cameo-Auftritt von Matthew McConaughey, der erklärt, worum es an der Wall Street wirklich geht: Keiner weiß, wie die Kurse sich entwickeln, Makler am allerwenigsten. Deren Ziel ist es nur, die Kunden ordentlich zu schröpfen und das Geld in Form von Provisionen in ihre eigenen Taschen zu stopfen. Alles andere ist reine Chimäre.