Derschmidt: Sag du es deinem Kinde 2

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Friedemann Derschmidt

Ahnen- und Familienforschung ist im Trend der Zeit. Was wenn aber jemand in seinem 8. oder neunten Lebensjahr damit durch neugierige Fragen begonnen hat? Und viele Familienangehörige miteinbezieht? Und damit auch aneckt? Dadurch an künstlerischer Kraft gewinnt? Dann ist es Friedemann Derschmidt.

In Teil 1 hat uns Derschmidt erzählt wie alles begann als er 8 oder 9 Jahre alt war, zu lesen hier:

Sag du es deinem Kinde 1

Was uns jetzt interessiert ist, wie es die Familie aufgenommen hat? Ob es Ängste und Widerstände gab?

Friedemann Derschmidt:

f5Selbstverständlich! Es gab anfangs mal eine große Verstörung. Meine vermeintliche Unterstellung mit dem Vererbungsexperiment. Der Tabubruch über diese Dinge überhaupt zu reden. Die Chuzpe am Familienmythos zu kratzen usw. Nur einige wenige, denen ich aufrichtig dankbar bin, haben verstanden. Sie haben sich demonstrativ an meine Seite gestellt. „…ich danke Dir für Deine Initiative, die ich vollinhaltlich unterstütze. Es hat mehr als 65 Jahre gedauert, ehe offen über die „dunkle Seite“ der Familie gesprochen werden kann. Es ist Dein Verdienst, dass Du dieses Tabu in einem – zunächst geschützten Rahmen – brichst. Tabuverletzungen werden mit Sanktionen bedacht. Diese bin ich bereit mit Dir zu teilen. Ich hoffe sehr, dass sich viele der Nachfolger des Heinrich Reichel an diesem Experiment beteiligen.“

Aus einem der ersten Postings am Weblog mit dem Titel „für schonungslose Transparenz“ von Dietmar Weixler, der auch einen Beitrag im Buch hat, in dem er zum Thema „Arzt sein als Urenkel des Rassenhygienikers Heinrich Reichel“ schreibt. Und es gab harsche Reaktionen (4): Ein Cousin meines Vaters schrieb einen offenen Brief an alle Familienmitglieder, in dem er mich aufforderte, die Website auf der Stelle zu schließen, und die Verwandten dazu aufrief, mich zu boykottieren. f3Bei einem Familienfest sprach ich ihn an und bat ihn, direkt mit mir zu reden, statt offene Briefe zu schreiben. Ich fragte ihn, was sein Problem sei. Er forderte daraufhin von mir: „Nimm das Bild mit den Männern in Naziuniform, die vor meinem Haus stehen, aus dem Internet.“ Ich fragte ihn, ob er vergessen habe, dass „diese Männer“ sein Vater und seine Onkel seien. Es entspann sich ein Dialog über „soldatische Pflichterfüllung“ und wir kamen auf Widerstandskämpfer zu sprechen. Er meinte daraufhin: „Während die anderen anständig die Heimat verteidigt haben, sind ihnen diese sogenannten Widerstandskämpfer in den Rücken gefallen.“ Mein Vater war inzwischen zu uns gestoßen und antwortete statt mir: „Was meinst du mit ‚Heimat verteidigen‘? In Stalingrad vielleicht?“ Ich musste den Raum verlassen, um Luft zu holen. Als ich zurück kam, war nur mehr mein Vater da und sagte sehr verstört: „Dieser Rassist hat mir soeben erklärt, du wärst von den Juden gekauft worden, um die Familie zu zerstören.“

Auftritte und Briefe, wie die von jenem Cousin meines Vaters, haben eher dazu geführt, dass einige Mitglieder der Familie ihre Reserviertheit gegenüber dem Projekt aufgaben und dem Projekt nähertraten. Dennoch werde ich immer wieder attackiert, da es wie immer leichter fällt, dem Überbringer der schlechten Nachricht die Schuld an der Nachricht selbst zu geben. Das Projekt löst bei vielen sehr negative Gefühle und Energien aus, mit f6denen ich konfrontiert werde. Umso mehr brauche ich dann den Zuspruch von Menschen, die das Projekt unterstützen und sich nicht scheuen, Unangenehmes zu konfrontieren. Ich wurde während des Zusammenstellens dieses Kapitels darauf angesprochen, warum hier fast nur Texte zu finden sind, die von Leuten stammen, die dem Projekt eher positiv gegenüberstehen. Tatsächlich gibt es auch genug Texte, die das Projekt ablehnen und angreifen. Interessant ist, dass bei Anfrage die VerfasserInnen selbst die Veröffentlichung dieser Texte ablehnten oder ich in anderen Fällen von Verwandten gebeten wurde, Texte nicht zu veröffentlichen, weil deren AutorInnen psychische Probleme hätten oder überhaupt psychisch krank seien. Ich weiß von einigen wenigen Familienangehörigen, die tatsächlich mit schwerwiegenden mentalen Problemen zu kämpfen haben, und ich will das sicherlich nicht pathologisierend in dieses Projekt hineinvermischen. Andere sind für mich jedoch schlichtweg nicht mutig genug, sich ihren eigenen Ambivalenzen und der Diskussion über dieselben zu stellen.

wird fortgesetzt…

Friedemann Derschmidts Buch gibt es hier: Sag du es deinem Kinde

Ein besonderes Projekt ist das „2 Familien Archiv“: Two Families Archive

(4) aus Buch Sag.D.e.D.Kinde im Kapitel „Reaktionen der Familie“