Rollator in barbierosa!
Ein Beitrag von Sonja Schiff
Sie sind GerontoWAS? So oder so ähnlich sind meistens die Reaktionen, wenn ich mich irgendwo vorstelle und meinen Beruf nenne. Ich bin akademische Gerontologin, ab Juli hoffentlich auch Master of Arts Gerontologie. Ich bemühe mich zumindest gerade redlich eine gute Masterthesis zu verfassen. Und damit sind wir schon beim Thema. Ich schreibe über das Älterwerden kinderloser Frauen und ihr generatives Verhalten. Jetzt wird es kompliziert? Okay, dann der Reihe nach:
Die Gerontologie ist die Wissenschaft vom Altern des Menschen. Es handelt sich um ein interdisziplinäres Fach, Altern ist eine Querschnittsmaterie. Das Altern der Menschen und der Gesellschaft berührt fast jede wissenschaftliche Disziplin, alle Bereiche des Lebens und die meisten Berufe. Sicher, in der Regel wird es diskutiert in Zusammenhang mit dem Pensionssystem, mit den Themen Pflege und Medizin. Und meistens geht es irgendwie um Kosten, darum, dass wir uns das alles angeblich bald nicht mehr leisten können. Das Älterwerden unserer Gesellschaft wird vorwiegend als Problem diskutiert. Und persönlich, naja, wer wird schon gerne alt? Wer begrüßt seine Falten schon mit Begeisterung? Altern als berufliches Thema ist daher für die meisten nicht gerade sexy. Aber ich bin begeisterte Gerontologin und liebe die Vielfalt meiner Arbeit.
Das Altern, gesellschaftlich wie individuell, sollte (ich sage sollte, weil es viele noch nicht tun!) alle beschäftigen, die ältere oder alte Menschen als KundInnen haben oder eine Welt gestalten, in der sich alte Menschen bewegen.
Zwei Beispiele: Alte Menschen können Tetraverpackungen oft nicht öffnen, weil die Kraft in den Fingern weniger geworden ist. Deshalb verzichten sie oft notgedrungen darauf Milch oder Fruchtsäfte zu trinken. Kluge SaftproduzentInnen, denen die steigenden Zahlen älterer KundInnen bewusst sind, würden eine Gerontologin holen oder alte Menschen als TesterInnen. Das könnte helfen ältere KundInnen zufriedenzustellen und die Umsätze zu steigern. Zweites Beispiel: Zu den heikelsten Momenten im Leben alter Menschen gehört der Tag an denen ihnen jemand sagt, sie müssten jetzt einen Gehstock oder einen Rollator verwenden. Alte Menschen hassen diesen Moment. Und diese Hilfsmittel sind dann auch alle noch potthässlich! Als Gerontologin kann ich einfach nicht verstehen, warum ein Rollator nicht stylish sein kann. Wenn ich schon mit einem Rollator rumfahren muss, dann bitte einen in barbierosa, ferrarirot oder grasgrün. So wird ein Hilfsmittel zum Accessoire! Und wenn das schon niemand aus dem Fachbereich Design kapiert, dann bitte fragt doch mich als Gerontologin!
Ja, und deshalb bin ich auch glücklich darüber, dass mich Anja Hagenauer gefragt hat, ob ich hier auf Zartbitter in unregelmäßigen Abständen eine Kolumne zu gerontologischen Themen schreiben möchte. Möchte ich! Vielleicht liest die ja so ganz zufällig auch einmal eine RollatorendesignerIn.
—————–
Sonja Schiff ist akademische Gerontologin und Altenpflegeexpertin. Sie berät Firmen und Pflegeeinrichtungen, hält Pensionsvorbereitungsseminare und bildet Wechseljahreberaterinnen aus.