Leben im Jetzt: Wanderapostel
Das Experiment „Wanderapostel“ startete in Hopfgarten bei Kitzbühel im Tiroler Unterland. Mittags bei strömenden Regen gingen wir los. Ohne Geld, Verpflegung, nicht wissend, wo wir schlafen würden. Es gab kein geographisches Ziel, wohl aber ein inhaltliches. Auftrag war es, aufmerksam zu machen für die Aktionswoche „Offener Himmel“ der Erzdiözese Salzburg einerseits, andererseits mit Menschen direkt ins Gespräch zu kommen über Lebens- und Glaubensfragen. Wir ließen uns führen von der Intuition. Wir läuteten an den Häusern und stellten uns als Wanderapostel vor. Die Reaktion der Menschen war sehr unterschiedlich: Von totaler Ablehnung, über „darüber wollen wir euch ein andermal hören“ bis hin zu echtem Interesse. Viele Menschen waren dankbar, einmal ihre Meinung zur Kirche loszuwerden. Dabei kam vieles zur Sprache: Der Pflichtzölibat (Verpflichtung zu Ehelosigkeit und sexueller Enthaltsamkeit) für Priester solle aufgehoben werden. Der Kirchenbeitrag (1% des Bruttoeinkommens in Österreich) sei zu hoch. Die junge Generation interessiere sich nicht mehr für Religion und Kirche. Ein großes Ärgernis sind die Missbrauchsfälle, die in der Kirche stattgefunden haben. Manchmal fühlten wir uns wie Mülleimer für Abfall, den wir nicht produziert haben.
Wir hörten auch viele Sorgen: Wie wird der Kirchenbesuch in 20 Jahren aussehen? Sind die Kirchen dann leer? Sollte Friedrich Nietzsche Recht behalten wie im bekannten Aphorismus 125 in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“? „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes sind?“ Die Menschen machen sich Sorgen um die Umwelt. Wird ihre schöne Tiroler Landschaft schon in naher Zukunft unwiederbringlich zerstört sein? Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?
Uns wurden auch Einblicke in soziale Härtefälle gewährt, aus denen es sehr schwer ist, sich zu entziehen. Wo man gleich helfen möchte, aber merkt, dass die Verstrickungen und Abhängigkeiten so groß sind, dass es hier keine einfachen Lösungen gibt. Da war ich auch froh, dass es kirchliche Stellen gibt, die Auffangnetze und konkrete Hilfe anbieten.
Wir führten auch Glaubensgespräche. Viele Menschen glauben an Gott, oder an eine letzte Wirklichkeit, möchten aber mit Kirche nichts oder nur wenig zu tun haben. Andere wünschen sich eine stärkere Kirche, die sich wirklich auf die Lebensfragen der Menschen einlässt.
Die Aktion „Offener Himmel“ mit ihren zahlreichen Veranstaltungen mit zum Teil experimentellem Charakter fand bei den Menschen Anklang. Hier wird eine Kirche sichtbar, die auf die Menschen zugeht, offen ist für neue Formen und die sich an andere Religionen annähert. Eine Kirche, die das Verbindende sucht. In diesem Klima wurden wir Wanderapostel voll respektiert. Wir spürten die Gastfreundschaft der Tiroler und fanden für jede Nacht ohne Probleme eine Bleibe. Für die Tage brauchten wir keinen Cent.
Das Projekt ist gelungen. Du hast im Grunde keine andere Wahl, als dich spontan und radikal auf alles einzustellen, was dir begegnet. Jede Begegnung war Anstoß für die eigene Entwicklung. Wir wurden mit jedem Kontakt selbst verändert. Leben ist nichts Statisches, sondern ist in ständiger Veränderung. Diese Form des Gehens macht letztendlich zufriedener, vertrauensvoller und nimmt Ängste vor der eigenen Zukunft. Und es macht mich offener für Menschen auf der Flucht. Menschen, die unfreiwillig aufbrechen müssen, weil sie keine Zukunft mehr haben in ihrer Heimat. Vor allem aber stärkt es die eigene Dankbarkeit, dass alles im Leben Geschenk ist.