Helfen! Was man in 48 Stunden auf die Beine stellen kann
Von Tarik Mete
Salzburg dient den Flüchtlingen als Zwischenstopp für die Durchreise nach Deutschland. Freiwillige Helferinnen und Helfer übernehmen in den ersten Tagen – bis die Behörden und die Politik reagieren können – die Begrüßung und Verpflegung der Flüchtlinge. Volle Einkaufswägen mit Getränken, Verpflegung sowie Proviant für die Weiterreise stehen bereit für die Hilfesuchenden. Bis tief in die Nacht – ob unter der Woche oder an Wochenende – die Salzburgerinnen und Salzburger zeigen, dass Mitgefühl und Solidarität eine Selbstverständlichkeit ist. Ein klares Zeichen dafür, dass für Angstmacherei und Hetze kein Platz in Salzburg ist. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich niemals stolzer war ein Salzburger zu sein, als in diesen Tagen.
Ich möchte in diesem Rahmen auch eine Gruppe hervorheben, die sich eher seltener in der medialen Berichterstattung Platz findet – nämlich die Salzburgerinnen und Salzburger mit Migrationshintergrund. Selbstlos und mit vollem Einsatz kamen jede Nacht viele Menschen, die einfach helfen wollten. Neben den zahlreichen interkulturellen Vereinen in Salzburg, waren es vor allem Privatpersonen, die mit einer unendlichen Selbstverständlichkeit zur Hilfe eilten. Unter den Helferinnen und Helfern waren auch zahlreiche anerkannte Flüchtlinge und auch Asylwerber, die zur Zeit in Salzburg untergebracht sind. Sie sammelten selbst – mit dem Wenigen, was ihnen zur Verfügung stand – Nahrungsmittel, um sie den durchreisenden Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Viele meldeten sich auch freiwillig für Dolmetschtätigkeiten und andere Hilfsaktionen.
Alle wollen helfen
Es kamen derart viele Anfragen an mich, wo und wie man helfen und spenden könne. Es wollten so viele helfen, wussten aber nicht wie sie das am besten anstellen sollten. Da ich am vergangenen Samstag bereits als Delegierter zum Bundesparteirat eingeladen war, entschloss ich mich kurzer Hand, dass mit einer Fahrt nach Traiskirchen zu verbinden und Sachspenden in das Flüchtlingslager, in dem rund 4.000 Menschen untergebracht sind, zu bringen. Die Landesparteiorganisation der SPÖ Salzburg stellte einen Kleinbus zur Verfügung, um die Sachspenden zu transportieren und ich startete einen privaten Spendenaufruf via Facebook. Nach dem Aufruf waren nur zwei Tage Zeit bis zur Abfahrt Richtung Wien und Traiskirchen. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht wirklich sicher, ob dieser Spendenaufruf in so kurzer Zeit überhaupt wahrgenommen wird – aber ich wurde eines Besseren belehrt. Am Freitagabend gab es für eine Stunde, zwischen 18:00 und 19:00 Uhr die Möglichkeit Spenden in mein Büro in der Vogelweiderstraße zu bringen. Das Interesse und der Andrang waren enorm. Es kamen mehr als 50 Personen und brachten Kisten und Säcke voll mit neuwertigen oder gar neuen Textilien, Hygieneartikel, Spielzeug und anderen Sachspenden. Als Zwischenlager diente mein Büro, das letztendlich zum Bersten voll mit Kisten und Hilfsgütern stand.
Einerseits war ich natürlich überwältigt und über alle Maße positiv überrascht von der unermesslichen Hilfsbereitschaft der Menschen, aber andererseits stand ich nun gegenüber einem neuen Problem. Wie sollte ich das ganze Zeug transportieren. Der Bus, den ich organisiert hatte, war nicht annähernd groß genug, um die Sachen, die gespendet worden sind, zu transportieren. Während ich so vor mich hingrübelte, kam ein junger türkischstämmiger Mann mit einem Kleintransporter vorbei, der ebenfalls etwas spenden wollte. Er fragte mich, wie ich den das ganze Zeug zu transportieren gedenke. Ich deutete auf den kleinen Bus. Scherzend sagte er auf Salzburgerisch: „Des wird sie owa ned gonz ausgehn“ und gab mir, ohne zu zögern und mit der Wimper zu zucken – die Schlüssel von seinem Kleintransporter. Abermals konnte ich nicht glauben, wie zuvorkommend und hilfsbereit die Menschen sind, wenn es darum geht, zusammenzuhalten und zu helfen.
Nicht ohne Facebook
Leider war das nicht das letzte Problem, dass an diesem Abend noch zu lösen war. Die ganzen Kisten, die mein Büro zugestellt hatten, mussten in den Transporter geladen werden. Es war aber schon 20:00 Uhr und alleine hätte es bestimmt bis in die Morgenstunden gedauert. Gerade als ich am Verzweifeln war, kam mir die Idee, es wieder über die sozialen Medien zu versuchen. Ich ersuchte mein Netzwerk auf Facebook, um 22:00 Uhr zu meinem Büro zu kommen und gemeinsam das Fahrzeug zu beladen. Bereits um halb zehn waren mehr als ein Dutzend Leute da, die innerhalb einer halber Stunde das ganze Fahrzeug beladen hatten. Es waren so viele Leute da, dass die Arbeit kurz nach dem vereinbarten Start um 22:00 Uhr erledigt war.
Nicht einmal der Kleintransporter war in der Lage all die Sachen zu fassen, weshalb wir auch den Kleinbus bis zum Anschlag füllen mussten – dennoch blieben ein paar Kisten übrig. Kurz nach zehn waren rund 25 Personen anwesend, die beim Beladen halfen. Da aber die Arbeit bereits getan war, stand man noch gemütlich bis Mitternacht zusammen und tauschte sich darüber aus, wie man den Leuten noch helfen könnte. Währenddessen fiel jemanden auf, dass die Reifen des Transporters unter dem Gewicht der Ladung etwas nachließen. Da gleich um die Ecke eine Tankstelle war, erklärte sich jemand bereit eine Luftpumpe von dort zu holen. Er holte dankenswerterweise die Pumpe und ein zufällig anwesender Mechaniker kümmerte sich um die Reifen. Ein kleines Detail am Rande: Später erfuhr ich, dass der freiwillige Helfer die Pumpe jedoch nur mitnehmen durfte, weil er 300 Euro beim Tankwart als Pfand hinterlassen hatte. Das war ebenfalls keine Selbstverständlichkeit und ich war ein weiteres Mal in dieser Nacht komplett baff. Schließlich war das Fahrzeug war startklar und es war Zeit nach Hause zu gehen.
Um 6.30 Uhr ging’s los. Gemeinsam mit einem Freund, der von Anfang an die Aktion unterstützte, machten wir uns bei heftigem Regen auf in Richtung Wien. Zuerst zur Parteiveranstaltung rund um das Thema Bildung und danach nach Traiskirchen – so war zumindest der Plan. Mehr als das Thema Bildung stand beim Themenrat berechtigterweise, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Ereignisse, das Thema Flüchtlinge im Mittelpunkt. Der Kanzler verkündete „die Grenzbalken auf für die Menschlichkeit!“ und Genosse Häupl versicherte, jedes Flüchtlingskind in Wien werde einen Schulplatz erhalten. Klare Worte von der SPÖ-Spitze. Vielleicht wäre es klüger gewesen, aus aktuellem Anlass das Thema für die Veranstaltung zu ändern und gemeinsam über die Flüchtlingsthematik zu diskutieren. Ich verabschiedete mich zeitig von den Genossinnen und Genossen und machte mich auf den Weg.
Am Vortag und in der Nacht vor unserer Abfahrt machten sich zahlreiche Menschen, in Zügen und anderen Transportmitteln auf den Weg nach Österreich. Der sogenannte #marchofhope sollte auch den Plan unserer Spendenaktion wesentlich ändern. Meine Freunde von den Hilfsorganisationen teilten mir mit, dass am Hauptbahnhof die Lage besonders prekär ist und dort eine Art Ausnahmestand ausgerufen worden ist. Gemeinsam mit meinem Begleiter entschieden wir uns zuerst zum Hauptbahnhof zu fahren und unsere Spenden zuerst dort anzubringen.
Ausnahmezustand am Bahnhof
Das was ich dort gesehen habe, war für mich einerseits rührend und andererseits verstörend. Meine Freunde hatten nicht übertrieben – es herrschte tatsächlich ein Ausnahmezustand am Hauptbahnhof. Tausende Menschen quetschten sich durch die Halle, wo eine Art Verpflegungsstraße aufgestellt wurde. Es herrschte regelrechtes Chaos und ich fühlte mich, wie in einem Katastrophen-Film. Kleinkinder, die am Boden oder auf Feldbetten lagen und auf Verpflegung warteten. Menschen, die ihre Verwandten suchten. Von Behörden oder Einsatzkräften war eigentlich keine Spur. Es waren vor allem private Helferinnen und Helfer gekommen, um ihren Beitrag zu leisten. Es fehlte jedoch an Koordination und Organisation, was vor allem der Grund für die Unordnung und das Durcheinander war. Dort am Wiener Hauptbahnhof konnten wir den ersten Teil unserer Ladung anbringen. Vor allem Jacken und dicke Pullover waren gefragt, um auf dem Weg nach Deutschland der Kälte zu trotzen.
Über einen anderen Kontakt erfuhren wir, dass an einer Sammelstelle in Wien gerade Sachspenden für die Flüchtlinge an der ungarischen Grenze gesammelt wurden. Da die Situation dort aktuell am brisantesten war, haben wir uns kurzerhand entschlossen einen Teil der Sachspenden dorthin zu bringen. Vor Ort waren zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die uns tatkräftig beim Entladen und Sortieren der Spenden halfen. Die Spenden traten noch am selben Tag den Weg in Richtung Grenze und Nickelsdorf an.
Da wir noch nicht alle Spenden anbringen konnten, fuhren wir als letzte Station, wie eigentlich geplant, das Flüchtlingslager in Traiskirchen an. Dort besuchten wir zunächst den islamischen Verein, der im Ramadan jeden Tag mehrere Tausend Menschen mit Speis und Trank versorgte und begaben uns danach zum Haupteingang des Lagers. Auch hier trafen wir chaotische Umstände vor. Es lagen überall auf den Straßen Kleidungsstücke und Nahrungsmittel herum. Es kamen jede Minute neue Privatfahrzeuge mit Spenden an und verteilten sie unter den Leuten. Sobald man die Türe oder den Kofferraum aufmachte, stürmten sofort mehrere Flüchtlinge das Fahrzeug und versuchten die besten Sachen zu ergattern. Verstörend, wenn sich rund 30 Personen aneinander vorbeidrängen, um ein Laib Brot zu ergattern.
Traiskirchen
Um uns einen Überblick zu verschaffen, bevor wir den Rest der Spenden verteilen, haben wir einen Rundgang um das riesige Areal des Lagers gemacht. Am Vordereingang sind keine Zelte zu sehen. Diese hat man nach den negativen Medienberichten entfernt. Stattdessen campieren die Flüchtlinge nun auf der Rückseite des Lagers. Eine unscheinbare weiße Tür mitten in der Mauer führt zu den Zelten am hinteren Ende. Neben den großen Zelten des Ministeriums, die wir von der Alpenstraße in Salzburg und anderen Zeltlagern kennen, gab es dort auch einige kleine Campingzelte, die eigentlich für den privaten Gebrauch bestimmt waren. Hier konnte man seine Spenden etwas ruhiger an den Mann, die Frau oder das Kind bringen. Als ich die Zelte durch die Tür fotografieren wollte, kam eine Sicherheitskraft und haute die Tür sofort zu. Ich schoss trotzdem ein Bild über die Mauer hinweg.
Nach unserem Rundgang übergaben wir die restlichen Spenden an die Bewohnerinnen und Bewohner der Zeltstadt. Wir haben versucht vor allem Frauen und Kinder zu versorgen. Insgesamt war ich froh, dass wir den Großteil unserer Ladung in Wien bei der Sammelstelle für die ungarische Grenze abgegeben haben. In Traiskirchen war das eigentliche verstörende, dass so viel Zeug auf den Straßen herumlag und die Leute sich dennoch um alle Fahrzeuge scharrten, um neue Sachen zu bekommen. Ich habe dort auch versucht Geldspenden zu verteilen, aber die Leute nehmen sie nicht an – sie sind zu stolz und fühlen sich dadurch gekränkt.
Dank und Stolz
Nachdem unser Transporter leer war, war es endlich an der Zeit die Heimreise anzutreten. Nach einer kurzen Irrfahrt durch die Pampa rund um Traiskirchen und Baden fanden wir schnell wieder zurück auf die Autobahn und waren drei Stunden später gegen 22 Uhr wieder in Salzburg. Zwischenzeitig erfuhren wir, dass zahlreiche Flüchtlinge in der Nacht in Salzburg erwartet werden. Ohne Pause begaben wir uns daher wieder zum Bahnhof. Die Behörden und die Politik waren hier sehr organisiert und in dieser Nacht lief alles reibungslos ab. An dieser Stelle sei allen Einsatzkräften, die ohne wenn und aber über mehrere Stunden im Einsatz waren, von ganzem Herzen gedankt. Nach den Bildern am Wiener Hauptbahnhof war ich froh zu sehen, dass es auch weniger chaotisch funktionieren kann. Nachdem der letzte Zug um kurz nach 24 Uhr den Bahnhof Richtung München verlassen hatte, war es auch für uns endlich Zeit den Weg nach Hause und ins Bett anzutreten. Am nächsten Morgen brachte ich einige der übriggebliebenen Kisten zur Sammelstelle der MJÖ in Salzburg. Von den Lebensmitteln, die die JUSOS im Rahmen ihrer „Kauf plus eins Kampagne“ gesammelt haben, brachten wir einen Großteil in ein Flüchtlingsheim in der Elisabeth-Vorstadt. Es sind noch ein paar Sachen übrig, aber diese werden morgen in die Flüchtlingsheime in Werfen, Radstadt und Lend gebracht. Somit werden auch die letzten Pakete, die im Rahmen unserer privaten Spendenaktion gesammelt wurden, bedürftigen Menschen zukommen.
Alles in Allem war es für mich eine sehr läuternde und spannende Woche, die aber auch sehr viel Energie gekostet hat. Es waren zahlreiche Eindrücke und Erfahrungen dabei, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Ich habe mein Bestes getan, um eure Spenden dort hinzubringen, wo sie am meisten benötigt werden. In Österreich sind wir derartige Bilder einfach nicht gewohnt, aber nun ist mir umso mehr bewusst, dass jeder und jede von uns auch in eine derartige missliche Lage geraten kann. Und dann würden wir uns auch wünschen, dass es Leute gibt, die uns Schutz, Geborgenheit und ein freundliches Lächeln schenken. Vielen Dank für eure Unterstützung, eure Hilfe und die Selbstverständlichkeit mit der ihr an die Sache herangegangen seid.
Dieser Bericht kommt hiermit zum Abschluss, aber die kommenden Tage, Wochen und Jahre wird weiterhin unsere Hilfe benötigt. Daher darf ich euch alle einladen, euch weiterhin so engagiert und unermüdlich für Hilfesuchende einzusetzen und zu zeigen, dass Salzburg eine Stadt ist, die für Vielfalt und Solidarität einsteht. #refugeeswelcome
Und ich muss es noch Mal sagen:
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich niemals stolzer war ein Salzburger zu sein, als in diesen Tagen.
Fotos by Tarik Mete, mehr auf Tariks Facebook Seite