Die Leiden des jungen Christian N. – Kapitel Se(chs)

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von Christian Namberger, Oberinspektor i.R.

…wie unpassend, bei den zwei großen I in den Leiden des jungen Christian N. Vorab gesagt, handelt es sich bei den besagten I um die Inkontinenz und die Impotenz. Nicht gerade prickelnde Themen für einen mitten im Leben stehenden Mann.

Im letzten Kapitel erzählte ich ja, dass der Krebs mit 8 Zyklen Chemotherapie restlos besiegt wurde. Klingt jetzt nicht so üppig, aber da ich jeweils 96 Stunden an den Nadeln hing, summierte es sich doch auf 768 Stunden. Die Chemo besiegte auch meine Libido, während dieser Zeit war mein Verlangen gleich Null.

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Kein Klogehen möglich!

Die Chemotherapie endete im Dezember 2010. Im darauffolgenden Jahr durchschritt ich mein bisher tiefstes Tal. Durch die Abmagerung auf zarte 80 kg und der mittlerweile schweren Polyneuropathie, konnte ich mich so gut wie gar nicht selbst fortbewegen. Ich wohnte damals noch in meiner alten Wohnung am Fuße des Untersbergs, in einem 60er-Jahre Bau im vierten Stock ohne Lift. Durch die Schwäche verbrachte ich die meiste Zeit liegend. Muttern besuchte mich fast täglich und versorgte mich. Die Polyneuropathie lähmt mich ja vom Becken abwärts. Somit sind nicht nur die Haxerl beeinträchtigt, auch die Ausscheidungen waren gestört. Anfangs hatte ich eine Stuhl-und Harninkontinenz. Wobei das mit der Harninkontinenz nicht so war, wie man es sich vorstellt. Ich hatte eine spastische Beckenbodenverkrampfung. Beim Mann läuft der Harnleiter scheinbar durch den Beckenboden, durch die Verkrampfung wurde dieser abgedrückt und somit kam nichts mehr durch. Was man nicht alles lernt im Krankheitsfall. Dafür kam es hinten unkontrolliert. Lulu und AA (so heißt es in der Fachsprache J) konnte ich also nicht mehr steuern. Somit verbrachte ich einige Wochen stationär auf der Urologie.

Leben mit Windeln

chr2Fürs Lulu wurde mir empfohlen, mich selbst zu katheterisieren. Ich habe mein Gemächt wahrlich gerne in der Hand und erfreue mich jeden Tag darüber, aber ein Plastikschläucherl ins Spitzerl einzuführen und bis zur Blase durchzuschieben, das gehört nicht zu meinen Freuden.  Also wurde versucht, mir einen Blasenschrittmacher einzusetzen. Hierzu wurden Drähte an meine Nerven angeschlossen und diese mit einem elektronischen Kastl verbunden. Leider funktionierte es bei mir nicht und ich bekam einen sogenannten suprapubischen Katheter gelegt. Das ist ein Katheter, der durch die Bauchdecke in die Blase geführt wird. Ein praktisches Teil. Wenn ich Druck verspürte, machte ich das Ventil auf und lies das Lulu in die Harnflasche laufen. Alle vier Wochen wurde das Teil gewechselt. Nach drei Wochen bildeten sich meist Keime, was den Harn verunreinigte und mich zusätzlich schwächte.

Das AA wie gesagt, konnte ich gar nicht steuern. Wenn der Druck da war, flutschte es und ich konnte nichts dagegen tun. Somit wurde ich mit Ende Vierzig wieder Windelträger. Entzückend! Speziell bei körperlicher Anstrengung ging es dahin. Damit ich nicht nur in meinem taubenblau gestrichenen Schlafzimmer liegen musste, hievte mich Muttern immer ins Wohnzimmer. Natürlich konnte sie mich nicht aufrichten. Ich rutschte mit Mühen ans Bettende und ließ mich auf eine Decke plumpsen. Muttern zog mich dann übers Echt-Eiche Parkett ins Wohnzimmer. Niemand hatte solch ein glänzendes Parkett wie ich. Dort schob sie mich zur Couch und ich versuchte mich mit den Händen nach oben zu drücken. Das klappte auch, nur durch die Anstrengung ist´s meist schon wieder geschehen…sprich das Hoserl war voll. Zum Glück hatte ich damals eine pflegeleichte Ledercouch. Natürlich legten wir Handtücher unter, doch alles abdecken funktioniert auch nicht. Leder ist ja zum Glück resistent gegen Flüssigkeiten, oder hat schon mal wer eine Kuh gesehen, in die es rein regnet?

Durch Reha-Aufenthalte ging es mir in kleinen Schritten besser. Im Spätsommer nötigten mich Robert und Anjabella in eine barrierefreie Wohnung zu ziehen. Ich sträubte mich natürlich, da ich dachte, das ist so was wie ein Altersheim. Zum Glück waren sie energisch genug und ich willigte ein. Die beiden organisierten auch eine passende Wohnung samt Umzug, somit konnte ich Anfang 2012 in die schattige Pinie einziehen. Als alter Golden Girls Fan nenne das Gebäude so als Reminiszenz an die göttliche Sophia Petrillo. Dadurch konnte ich wieder rollstuhlmobil einigermaßen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Meist im Hause von Robert&Robert.  Das Schutzhoserl machte in der Feincordhose sogar einen knackigen Hintern. Da ich mich immer schon gerne am Weinglas festhielt, stieg natürlich auch immer der Blasendruck. Dort eingeladen ging der Druckabbau relativ einfach. Ich wurde auf die Terrasse gekarrt und ich konnte ganz einfach das Schläucherl rausfischen, den Zapfhahn öffnen und mit dem gräflichen Lulu die Rabatten beglücken. In dieser Zeit grünte es auffallend üppig bei den Roberts.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

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Wird es wieder?

Mit der Zeit kam ich immer mehr zu Kräften und siehe da, es kam auch was übers Gemächt und dass AA konnte ich großteils halten. Nach einiger Zeit wurde mir der Katheter entfernt. Jetzt musste ich wieder das Zusammenzwicken lernen. Was aber ein mühsamer Prozess war. Ich brauchte zwar keine Windeln mehr, jetzt reichten Einlagen. Tena men! Zuerst die stärkste Variante, was in besagter Stretchcordhose wie nach einer Erektion aussah. Aber eben leider nur so aussah. Peu a peu konnte ich die Stärke der Einlage reduzieren, jetzt komm ich tagsüber ohne aus.

Nach der Chemo kam auch schön langsam die Lust wieder zurück. Nur rührte sich das einst so stolze Teil noch immer nicht. Ist schon blöd, wenn der Kopf funktioniert und man mit Fantasie gesegnet ist, aber nicht für Entspannung sorgen kann. Das ist bis zum heutigen Tag so, aber seit ein paar Wochen regt sich ab und an wieder was, wenn auch nur auf Halbmast. Jetzt bin ich hoffnungsschwanger, dass sich zumindest da bald wieder der Urzustand herstellt. Mein überaus aufgeschlossener Urologe hat mir letztes Mal eine Probepackung mit den berühmten blauen Pillen mitgegeben. Mangels vis a vis spare ich mir die vier Stück auf und hoffe derweilen auf eine natürliche Erholung.

Mit diesen zum Schluss doch erfreulichen Erlebnissen schließe ich für heute und ziehe mich ins mittlerweile höher gelegte Bett zurück. Im teuer bezahlten Fernsehen läuft nichts Sehenswertes, somit lösche ich das Licht, schalte die in Regenbogenfarben schimmernde Unterbettbeleuchtung ein und höre über Kopfhörer die bezaubernde Daliah Lavi mit ihrem tollen Liedchen “Willst Du mit mir gehen“.

Von wegen Fantasie und so… :)

Zu Kapitel 5 der Leiden des jungen Christian N.