Konnten nach der sexuellen Revolution noch Tabus gebrochen werden? Ja – das Bühnen-Musical The Rocky Horror Show bewies das Anfang der 70er Jahre. Männer in Frauenkleidern gab es auf Bühnen und in Filmen zwar immer – doch nur in harmlosen Verwechslungskomödien. Ein sexuell aktiver bisexueller Transvestit war allerdings eine völlig neue Kategorie. Dennoch erreichte diese Art Provokation eine sehr breite Masse. The Rocky Horror Picture Show von 1975 ist daher sowohl für die Babyboomer-Generation sowie für die Generation X ewiger Kult. Egal wie schlecht andere Filme mit Tim Curry sind – er wird für Rocky Horror-Fans der einzig wahre laszive, anziehend-abstoßende Dr. Frank-N-Furter bleiben.

Der Fernsehsender Fox hat dieses Jahr eine Neuauflage des Klassikers gewagt. Warum auch nicht?

Transsexuell vs Transvestit

Was könnte die Neuauflage also Neues bieten? Hauptsächlich Laverne Cox – sie ist die erste offen lebende transsexuelle Darstellerin und LGBT-Aktivistin, die einem breiteren Publikum bekannt ist – und zwar aus der hocherfolgreichen Netflix-Serie Orange Is The New Black [Anm.: empfehlenswert]. Kann die Neuauflage der Rocky Horror Picture Show mit Laverne Cox in der Hauptrolle provozieren? Ich hatte mich auf den Fernsehabend gefreut. Doch schon nach den ersten Minuten stellte ich fest: Hier wirkt nichts frisch, frech oder auch nur annähernd anrüchig oder provokant. Alleine der Frank-N-Furter-Look ist nicht mit dem von Tim Curry zu vergleichen – das skurrile Make-up und das trashige Outfit haben viel zum Kult-Status der Figur beigetragen. Und, sorry, Ms Cox: I did not „shiver with antici… … … … [oh well – say it already, dammit] …pation“. Niemand wird an dieser Stelle Tim Curry je das Wasser reichen können.

Transsexualität könnte für Rocky Horror durchaus als Steigerung zu Transvestismus angesehen werden und zu einer geeigneten Adaption des Stoffs für die heutige Zeit anregen. Warum ist das nicht passiert? Seit den 70er Jahren sind viele Tabus gebrochen worden. Cross-Dresser oder Trans-Personen führen heute viel öfter kein verstecktes Leben mehr und sind längst auch in unserer alltäglichen Wahrnehmung angekommen. Das große Manko bei Laverne Cox war letztlich, dass sie durch und durch die Frau spielt, die sie heute auch tatsächlich ist. Ich meine damit, dass ihr Frank-N-Furter es an Ambivalenz fehlt. Sie setzt in der Rolle zwar auch ihre männliche Stimme ein, doch äußerlich dringt kein Fünkchen einer männlichen Ausstrahlung durch. Kostüm und Makeup lassen das nicht zu – anders als in Orange Is The New Black, wo ihr Gesicht nicht völlig hochglanzlackiert ist. Wo in Rocky Horror das Kostüm die richtigen Stellen quetscht und puscht, verrät ihr Gefängnisoutfit in Orange trotz der Brüste noch verbliebene Hinweise ihres biologischen Geschlechts, wie Taille oder Schultern. Die Kostüm- und Maskenbildner der Rocky Horror-Neuauflage haben es einfach zu gut gemeint.

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Colour Boosting vs Talent

The Rocky Horror Picture Show – Let’s Do The Time Warp Again hätte dennoch noch ein unterhaltsamer Film werden können. Woran es fehlte, war sexuelle Spannung. Das liegt nicht nur an Laverne Cox‘ Darstellung von Dr. Frank-N-Furter. Das dröge Paar Brad und Janet wird mit einer neuen Welt und einer völlig anderen Lebensart konfrontiert, die beiden machen neue, aufregende sexuelle Erfahrungen und bleiben am Ende doch farblos und uninteressant. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Ach ja, von wem wurden Brad und Janet in der modernen Fassung nochmal gespielt? Egal, es werden keine Weltkarrieren daraus werden, wie seinerzeit die von Susan Sarandon.

Der Tiefpunkt bei den Besetzungen war für mich Reeve Carney als Riff Raff ohne Buckel. Ok, Buckel ist nicht notwendig, aber Riff Raff ist als Charakter ein verschlagener, abstoßender Kretin. Reeve Carney ist geschminkt und trägt Perücke, bleibt aber fade und uncharismatisch, wie immer. Er bringt nichts davon mit, wodurch er als gruseliger Widerling überzeugen könnte.

Einzige Überraschung: Adam Lambert als Eddie! Wer hätte das gedacht? Eine Rolle anzunehmen, die vor ihm Meat Loaf mit viel Körper- und Stimmvolumen ausgefüllt hat, war mutig. Doch Adam Lambert hat die Show für ein paar Minuten so richtig gerockt und zeigte außerdem, dass in ihm ein richtiger Comedian steckt.

Zu Tim Currys Rolle als Erzähler möchte ich nicht viel sagen. Nur so viel: Jeder muss sein Geld verdienen, daher verstehe ich, weshalb er sich für das Projekt zur Verfügung gestellt hat. Er soll uns allen aber lieber als Frank-N-Furter in Erinnerung bleiben.

Whatever happened to Fay Who?

Bleibt noch ein Thema. The Rocky Horror Picture Show ist auch eine nostalgische Hommage an die klassischen Horror B-Movies der 1930er bis 50er Jahre. Waren diese in den 70er und 80er Jahren noch fixer Bestandteil des Fernsehprogramms, hat ein junges Publikum von heute keinen Bezug mehr dazu. Schon allein deshalb ist die Neuauflage der Rocky Horror Picture Show völlig aus der Zeit gefallen. Und seien wir ehrlich: Bei allem Kult. Wenn man heute die Ur-Version der Rocky Horror Picture Show ansieht, dann tut man es ebenfalls aus purer Nostalgie. Eine nostalgische Hommage an diesen Klassiker aus den 1970er Jahren wäre im Jahr 2016 sicher interessanter gewesen.

 

The Rocky Horror Picture Show – Let’s Do The Time Warp Again (2016) lief in den USA am 20. Oktober 2016 auf Fox

Meine Bewertung auf IMDB: 4 Punkte
Insgesamt hat diese Neuauflage des kultigen Rocky Horror Musicals nicht viel mehr zu bieten als aktuell bekanntere Gesichter und sattere Farben, damit die bunten Kostüme und Make-ups gut rüberkommen. Es fehlt die Seele.

„Es gibt so viel coole Storys, die man verfilmen könnte. Fällt denen nichts mehr ein? Es gibt so viel echte Helden auf dieser Welt, warum pikt [sic] man sich da niemanden heraus?“ So lautete einen Kommentar, den jemand unter meinen Filmbericht über Die glorreichen Sieben setzte.

Hier sind gleich zwei Beschwerden enthalten:
1. Es gibt keine neuen Storys.
Meine Antwort: Stimmt überhaupt nicht.
2. Niemand macht Filme über Menschen, die echt was geleistet haben.
Meine Antwort: Die gibt es doch. Aber das Marketing dafür ist nicht so stark.

Darum möchte ich diesmal ein paar neue Filme über Helden des echten Lebens vorstellen.

 Sully

Am 15. Jänner 2009 machte ein Mann weltweit Schlagzeilen: Der Pilot Chesley „Sully“ Sullenberger. Nach einem Vogelschlag waren beide Triebwerke seiner Maschine ausgefallen. Anstatt zu versuchen zum Flughafen umzukehren, beschloss er, auf dem Hudson River notzuwassern. Alle 155 Passagiere überlebten.

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Der Film Sully erzählt keine hochdramatisierte Geschichte, die im „Absturz“ des Flugzeugs gipfelt. Vielmehr wird betrachtet, wie Sullenberger es nach der aufsehenerregenden Notlandung erging. Denn einerseits rissen sich die Medien und die Öffentlichkeit um den Helden, während gleichzeitig ein Untersuchungsverfahren eingeleitet wurde. Ihm wurde vorgeworfen, er habe immensen Sachschaden verursacht und das Leben der Passagiere gefährdet.

Der Film erzählt sehr unaufgeregt und neutral, aber dennoch spannend. Sully wirkt sehr authentisch – selbst in den Szenen, wo der Absturz gezeigt wird. Es gibt keine kreischenden oder sich irrational verhaltenden Passagiere, wie man sie in so manchen Katastrophenfilmen sieht.

Tom Hanks ist in der Rolle des Sully perfekt besetzt. Wieder einmal. Er hat auch schon früher Helden des echten Lebens verkörpert, wie James B Donovan in Brige of Spies oder Richard Philops in Captain Philips – beide Filme ebenfalls sehr sehenswert.

Sully läuft bei uns ab 1. Dezember im Kino

The White Helmets

Die Weißhelme sind eine syrische Zivilschutz-Organisation. Über 1000 Menschen sind im ganzen Land zur Stelle, wenn Bomben fallen und Hilfe benötigt wird. Sie retten Menschen aus Trümmern, bergen Leichen und löschen Brände. Sie begeben sich täglich für andere in höchste Gefahr. Dafür haben sie im September den Right Livelyhood Award erhalten – den alternativen Nobelpreis.

Die 40-minütige Dokumentation wurde 2016 gedreht und folgt drei Männern, die in Aleppo bei den Weißhelmen täglich im Einsatz sind. Sie kommen aus allen möglichen Berufen, wie Schneider oder Bauarbeiter. Schon wenn sie ein Flugzeug hören, springen sie auf und tatsächlich fallen bereits kurz darauf die Bomben. Sie retten, suchen, weinen – oft vor Schmerzen, oft vor Glück. Manchmal da lachen sie auch – oder sie reden über Hoffnung. Auch das ist bewundernswert.

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Authentischere Einblicke in die Zustände in Aleppo bekommt man selten. Es ist mitunter unbequem, sich das anzusehen. Doch gerade dann ist es wichtig nicht wegzuschauen, denn sonst werden wir uns die verheerenden Zustände nie annähernd vorstellen können.

Zu sehen auf Netflix

Hacksaw Ridge

Kann man Soldat und Pazifist sein? Desmond Doss konnte das. Er und nur zwei weitere US-Soldaten verweigerten im zweiten Weltkrieg den Dienst an der Waffe. Vom Kriegsdienst zurückgestellt wollte er trotzdem nicht werden. Er diente seinem Land ohne Waffe – und rettete dennoch im Schlachtfeld vielen Kameraden das Leben. Dafür erhielt er als erster Soldat, der keinen einzigen Schuss abgefeuert hatte, die höchste Auszeichnung für Verdienste um die USA.

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Bisher habe ich nur den Tailer gesehen. Andrew Garfield scheint eine gute Wahl für die Figur des Desmond Doss. Insgesamt dürfte die Geschichte recht sehenswert sein, auch wenn der Film nicht ganz ohne Pathos auskommt.

Ab November läuft Hacksaw Ridge in den USA (möglicherweise folgt dann schon ein detaillierter Bericht), ab Jänner ist er dann auch in Deutschland und Österreich zu sehen.

Und die Frauen?

Dieses Jahr ist mir erst ein einziges Biopic über eine Frau aufgefallen: Joy mit Jennifer Lawrence. Joy Magnano war die Erfinderin des ersten Wischmops, den man nicht per Hand auswringen musste. Das kann nicht die einzige weibliche Heldentat gewesen sein. Ich mache mich gleich auf die Suche, nach weiteren neuen Filmen über wahre Heldinnen. Wenn jemand Tipps dafür hat, dann freue ich mich. Schreibt mir doch.

(Beitragsbild: Bill Kirkpatrick
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/legalcode)

Dieses Jahr ist das Jahr zweier großer Remakes. Das erste davon lief Ende August an: Ben Hur. Der Film gilt jetzt schon als kapitaler Flop – mit über 100 Millionen Dollar Verlust. Warum? Vielleicht weil es an zugkräftigen Stars fehlte.

Wenn es danach geht, dann müsste Die glorreichen Sieben ein Riesenerfolg werden. Die Rollen der sieben Helden sind prominent besetzt – und zwar nicht nur mit beliebten Schauspielern aus den USA, sondern auch aus Mexico und Vietnam. Wie vielversprechend!

Worum gehts?

Ein kleines Dorf wird vom eiskalten Geschäftemacher Bogue und seinem mörderischen Gefolge tyrannisiert. Eine junge Witwe, deren Ehemann von Bogue umgebracht wurde, bittet einen Kopfgeldjäger um Hilfe. Der Kopfgeldjäger stellt eine Truppe an Scharfschützen, Revolverhelden und Outcasts zusammen, um das Dorf von der Tyrannei zu befreien.

Die Story ist also in Grundzügen diesselbe wie im Western-Klassiker aus 1960. Damals war es ein mexikanisches Dorf, das von sieben Männern befreit wird – weißen Männern. Doch der weiße Mann als Retter – das war vielleicht 1960 ok. 2016 kann man das nicht mehr bringen. Darum bringt Neuverfilmung der Glorreichen Sieben eine Besetzung zusammen, die jedem Ruf nach mehr Diversität in Hollywoodfilmen gerecht wird.

Viele Chancen für einen interessanten Film

Ein schwarzer Kopfgeldjäger [Denzel Washington] ist der Anführer der Truppe. Mit dabei sind: Ein Spieler [Chris Pratt], ein traumatisierter Scharfschütze aus den Südstaaten [Ethan Hawke], ein Fährtenleser [Vincent D’Onofrio], ein messerwerfender Auftragskiller [Byung-hun Lee – ein Star in seiner Heimat Vietnam und auch in Hollywood kein Unbekannter], ein Soldat [Manuel Garcia-Rulfo – aus Mexico] und ein Cherokee Meister-Bogenschütze [Martin Sensmeier – trotz deutschen Namens ein Native American].
Was für eine Ausgangslage für einen Film. Perfekt, um völlig neue Perspektiven und Themen in die Geschichte einzubringen.

Es ist ja nicht nötig, gleich stundenlang die Befindlichkeiten der Nation und die Verhältnisse zwischen, Norden, Süden, Schwarzen, Weißen, Mexikanern oder sonstwas auszubreiten. Das hatten wir gerade in Quentin Tarantinos The Hateful Eight – vielleicht sogar ein bisschen zu viel davon. Was es bedeutet eine solche unterschiedliche Gruppe von Männern für eine so schwierige Aufgabe zusammenzuführen hat die Autoren ganz offenbar nicht interessiert. Eine vertane Chance.

Es ist aber nicht nur die Diversität, mit der der Film nichts anzufangen weiß. Jeder einzelne der Protagonisten hat seine Geschichte. Doch die bekommen wir nur andeutungsweise präsentiert und die Charaktere erhalten keine Tiefe. Es entstehen auch keine Dynamiken und Beziehungen zwischen Figuren. Wie soll sich da das Publikum mit irgendwelchen Charakteren identifizieren? Hier kann man nicht einmal von einer verpassten Chance reden. Es wird hier ein Mindestbedürfnis des Publikums nicht erfüllt. Ärgerlich, denn das Talent der Schauspieler ist dadurch völlig vergeudet.

Oh, es gibt auch eine Frauenrolle. Die junge Witwe [Hayley Bennett], die sich überhaupt traute, jemanden anzuheuern, um den Ausbeuter Bogue zu vertreiben. Sie ist kein schwaches Frauchen, das von einem Mann beschützt werden muss. Sie ist selbstbewusst, mutig, kann mit einem Gewehr gut umgehen und hätte mit der angeheuerten Truppe gut mithalten können. Doch stattdessen wird sie zuerst in eine Bluse gesteckt, die genügend Schultern und Ausschnitt zeigt. Wenn es dann um die Männersache geht, muss sie völlig in den Hintergrund weichen. Später kommt ihr Beitrag zum Finale wie aus dem Nichts. Ob ich wohl der einzige war, der schon fast vergessen hatte, dass sie auch noch da ist? Wieder eine Chance ungenutzt: Es wäre leicht gewesen hier eine im Ansatz gute Frauenrolle auch voll auszubauen. Aber das ist offenbar ein Männerfilm. Bleibt also nur die Rolle als Aufputz mit Ausschnitt.

Bleibt noch der Gegenspieler: Bogue [Peter Sarsgaard]. Was soll ich sagen? Irgendwie ein beliebiger Copy-and-Paste-Bösewicht. Er tut alles, um sich unsympathisch genug zu machen, sodass wir seine Bestrafung wollen. Mehr nicht.

Ehrlich gesagt wurde mir im Kino ein bisschen langweilig. Die Handlung nimmt ihren erwartbaren Lauf. Auch wenn man die Version von 1960 [oder das Original, den japanischen Film Die sieben Samurai] nicht gesehen hat, gibt es nichts Überraschendes. Absolut gar nichts. Und es gibt nichts, das dieser Western dem heutigen Publikum mitteilen möchte. Die Action mit manchmal endlosen Schießereien, Kämpfen und Explosionen kann nicht von den offensichtlichen Mängeln des Films ablenken.

Ein gutes Haar

Chris Pratt mochte ich schon bevor er vom lustigen Pummel zum durchtrainierten Hollywood-Schwarm mutierte. Und auch in Die glorreichen Sieben rettet er den Film, indem er nicht nur cool die Augen zusammenkneifend in die Ferne blicken darf. Er ist der Spieler, der mit seinen Taschentricks geschickt ablenkt und das Überraschungsmoment nutzt, um zuzuschlagen. Damit sorgt er für die einzigen Augenblicke, die mir echtes Vergnügen bereiteten. Wenigstens dürfen sich seine Fans ein bisschen freuen.

Als Film hätte Die glorreichen Sieben es verdient, der zweite große Remake-Flop des Jahres zu werden. Ich denke, das wird aufgrund der Zugkraft der Namen nicht passieren.

Meine Bewertung auf IMDB: 6 Punkte
Wer Western im Allgemeinen und einen der Schauspieler mag, hat einen Grund sich den Film anzusehen. Trotz kulturell diverser Besetzung gibt es aber nichts auch nur ansatzweise Interessantes oder Neues, sondern ist ein Western nach Schema F. Das Drehbuch hätte nicht mehr als 4 Punkte verdient. Die 6 Punkte gibt es einzig für die guten Schauspieler.

[Vorschaubild: Public Domain, Lizenz: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode]

Es ist schwer, sich Suicide Squad vorbehaltlos anzusehen. Und noch schwerer ist es, darüber zu schreiben. Denn die Gefahr ist groß nur zu wiederholen, was Fans und Kritiker ohnehin schon tausendfach darüber gesagt haben. Immerhin ist der Film schon Anfang August in den USA angelaufen. Es war fast unmöglich zu ignorieren, dass dieser Film von der Kritik vernichtet wurde.

Dabei begann alles so verheißungsvoll: Als vor einem Jahr der erste Comicon Trailer lief, war ich aufgeregt. Eine Truppe von Bösewichten aus den DC Comics kämpft gemeinsam. Visuell sah es großartig aus. Die größte Aufmerksamkeit hatten eindeutig die Ausschnitte mit Jared Leto als Joker. Ein völlig neuer Joker, der weder Jack Nicholson noch Heath Ledger nacheifert.

Plötzliche Planänderung

Düster war er, dieser Trailer. Das passte allgemein zum DC Filmuniversum. Die Ernstheit und Düsternis dieser Filme kann man mögen oder auch nicht – zumindest zog sich diese Stimmung konsequent durch alle DC Comic-Verfilmungen. Doch dann wurde es Frühjahr 2016 – und plötzlich wurde im neuen Trailer alles bunt und die Anti-Helden lieferten einen markigen Spruch nach dem anderen ab.  War das derselbe Film, der hier beworben wurde? Man sagt: Nein. Batman v Superman war beim Publikum ein Reinfall  (die Einnahmen betrugen trotzdem über 700 Millionen Dollar). Zu düster und zu aufgeblasen. Warner wollte diesen Fehler bei Suicide Squad nicht mehr begehen und drehte fleißig Szenen nach. So heißt es zumindest.

Über die Handlung von Suicide Squad lasse ich am besten den Trailer sprechen [seht den Trailer an oder scrollt runter und lest weiter].

DC Comic Fans haben mit Suicide Squad ihre Probleme. Ich kenne die DC Comics nicht, darum fallen mir Abweichungen nicht auf und stören mich auch nicht. Ich wollte einfach einen Film lang Spaß und Action – ohne viel Hirn. Aber Suicide Squad macht es einem da nicht einfach.

Auffällige Schwächen

Die Einstieg ist holprig mit wenig überzeugenden Back-Stories unserer Anti-Helden. Die Hintergrundgeschichten erzählt der Film durch viel Exposition – praktisch alles wird von Viola Davis in einer laaangen Abendessen-Szene ausgebreitet, anstatt dass der Film die Geschichten in Bildern erzählt. Wie langweilig. Und gleichzeitig eine Vergeudung einer hervorragenden Schauspielerin, die trotz starker Präsenz in dieser Rolle einfach nicht so fasziniert, wie sie es sollte.

Das nächste, was ich einfach nicht wegblenden konnte, war der nervige Soundtrack. Warner versuchte hier offenbar, etwas zu kopieren, was viel zum Erfolg der Marvel Comics-Verfilmung Guardians of the Galaxy beitrug: ein Soundtrack voller kultiger Pop/Rock-Klassiker. Bei Guardians war die Musik jedoch ganz klar Teil des Gesamtkonzepts für den Film. Bei Suicide Squad wirkt es so, als wären die Songs beliebig. Nach knapp der Hälfte ist dann eigentliche Original-Filmmusik zu hören. Dadurch änderte sich die Atmosphäre des Films. Das tat zwar gut, aber ich fragte mich umso mehr: Wozu waren all die Pop-Songs vorher gut?

An den einzelnen Figuren haben Fans der Comics viel auszusetzen. Was mich am meisten irritierte: Ein Mitglied des Suicide Squad, Boomerang, hat praktisch keine Aufgabe im ganzen Film. Wäre er nicht in der Story, wäre der Film genau derselbe. Nur kürzer. Von Boomerang habe mir auch gar nichts gemerkt. Außer, dass er Australier ist. Boomerang. Ihr wisst schon …

Der Bösewicht der Geschichte ist Enchantress. Die ersten Auftritte der jahrtausendealten Hexe sind ganz beeindruckend. Die Verwandlung der Forscherin June Moone zu Enchantress [Cara Delevingne] ist visuell wirklich schön umgesetzt – es ist dabei nur ihre Hand zu sehen. Ich war beeindruckt. Was hatten die Kritiker bloß gegen diese Figur. Ah ja: später ändert Enchantress plötzlich ihr Aussehen. Sie sieht dann aus, wie die vom Dämon Zuul besessene Sigorney Weaver aus Ghostbusters – nur dass sie wirklich seltsame schlangenhafte Tanzverrenkungen ausführt, die sehr davon ablenken, was sie eigentlich tut. Angeblich baut sie eine Maschine. Diese Maschine sieht ebenfalls aus, wie aus dem 80er Ghostbusters Film. Es blitzt und ein Haufen Schrott wirbelt herum. Also, ich hab weder die Maschine verstanden, noch den Grund, warum sie mit diesem Ding die Menschheit auslöschen will. Wenn man nachdenkt, dann ist es sinnlos für das tausende Jahre alte Überwesen, die Menschen auszulöschen, wenn sie sich doch deren Anbetung wünscht.

Bitches be crazy - auf Harley Quinn [Margot Robbie] trifft das auf jeden Fall zu

Bitches be crazy – auf Harley Quinn [Margot Robbie] trifft das auf jeden Fall zu

Ein gutes Haar

Ich dachte nicht, dass ich je so einen Satz schreiben würde: Ein Lichtblick ist Will Smith. Sein Deadshot, der gefährliche Auftragskiller, ist taff, charismatisch und überzeugend. Harley Quinn ist frech, verführerisch, gefährlich und psychopathisch. Über weite Strecken bringt Margot Robbie diese Figur gut rüber. Nur wenn sie markige One-Liner von sich geben muss, die dem Film mehr Humor verleihen sollten, dann gehen die Witze irgendwie daneben – völlig unüberzeugend und völlig unlustig. Außerdem suggeriert der Film, dass sie sich in Wahrheit nach einem ganz normalen, kleinbürgerlichen Familienglück mit dem Joker als Ehemann und Vater ihrer Kinder sehnt? Das glaube ich nicht, denn die clowneske Kratzbürste ist völlig durchgeknallt und hat echten Spaß dran, Leuten weh zu tun. Sie würde eher davon träumen, gemeinsam mit dem Joker in eine Menschenmenge zu schießen oder Leuten, deren Gesicht ihr nicht passt, mit einem Baseballschläger den Schädel einzuschlagen. Das wäre zwar nicht so liebenswert, aber dafür passend zur Figur. Ansonsten macht es richtig Spaß, Margot Robbie zuzusehen, wie sie Harley Quinn mit Lust spielt.

Der einzige, der aber überzeugend gegen Enchantress im Showdown antreten kann ist Diablo [Jay Hernandez] – wo Deadshot gut mit Schusswaffen umgeht und Harley Quinn ihren Holzhammer schwingt, besitzt er eine echte Superkraft. Er ist ein lebender Flammenwerfer. Dieser düstere Anti-Held hätte es vorgezogen, weiterhin weggesperrt zu leben und für seine Taten zu büßen. Mit einer Figur wie dieser in der Geschichte wird klar, dass eine düstere Atmosphäre für Suicide Squad genauso passend gewesen wäre wie zum Beispiel für Christopher Norlans Batman-Filme. Bunt und poppig mag bei Jugendlichen besser ziehen. Aber es wird dadurch sicher kein besserer Film.

Meine Bewertung auf IMDB: 6 Punkte

Harley Quinn bläst immer lässig Kaugummiblasen und lässt diese schnalzend zerplatzen. Insgesamt wirkt der Film ein bisschen wie Harleys Kaugummi: Ziemlich ausgelutscht, zieht sich und ist trotzdem aufgeblasen. Am Ende gibts einen kleinen Schnalzer, aber der regt auch niemanden auf.

The Bronx in den 70er Jahren. In meiner Wahrnehmung als Teenager im Dörfli nahe der beschaulichen Mozartstadt Salzburg überlebte man in den Straßen der Bronx keine zehn Minuten – so gefährlich war das. In der Schule haben wir uns den Film Fort Apache, the Bronx mit Paul Newman angesehen. Da erschoss eine Straßenprostituierte gleich in den ersten Minuten zwei Cops. Und ein hysterischer Transvestit wollte sich wenige Minuten später vom Dach stürzen. Also, Leute und Zustände waren das. Für ein Landkind wie mich einfach unvorstellbar. Aber: Ich wusste, wie es in der South Bronx zugeht. Davon war ich überzeugt.

The Get Down spielt 1977 in diesem heruntergekommenen Stadtteil New Yorks – der South Bronx. Schutt und Abrissbuden überall – das Ghetto der Schwarzen und Latino-Bevölkerung New Yorks. Sie haben miese Wohnungen, miese Bildung, miese Jobs oder sind kriminell. Und sie haben ihre Subkultur, die bis vor kurzem noch Disco hieß. Disco war inzwischen im Mainstream angekommen. Die Bee Gees hatten diese Underground-Kultur bei der weißen Mittelschicht salonfähig gemacht und damit sowohl ihren Höhepunkt als auch ihren Niedergang bereitet. Doch, immer einen Schritt voraus, war die Underground-Szene der Schwarzen und Latinos ohnehin bereits dabei, aus dem Disco heraus etwas völlig Neues zu entwickeln: den Hip-Hop.

Grandmaster Flash und Shaolin Fantastic am Beginn der DJ- und Hiphop-Kultur – hier treffen fiktive und reale Personen aufeinander

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Worum gehts?

Die Geschichte verfolgt den Werdegang von Ezekiel [Justice Smith] – einem begabten Schüler, der nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Tante und deren Freund aufwächst. Doch wer klug ist, hat keine Street Cred. Gute Noten, Auszeichnungen für Gedichte – das ist doch „voll schwul“. Ezekiel gibt sich Mühe, dadurch nicht im Ansehen seiner Freunde zu sinken.
Er hat ein Talent mit Worten umzugehen, Geschichten zu erzählen – und zwar in Reimen. Das sollte ihm in einer neu entstehenden Subkultur Ruhm einbringen. Ezekiel begegnet dem enigmatischen Shaolin Fantastic [Shameik Moore], ein Protegé des Ur-Hip-Hoppers Grandmaster Flash [mit geheimnisvoller Aura dargestellt von Mamoudou Mathie]. Durch ihn lernt Ezekiel, sein Talent als Wordsmith (Rapper) auszuleben. Reime zu schmieden wird plötzlich zur coolen Sache.

Ezekiel liebt Mylene [Herizen F. Guardiola]. Sie ist die Tochter eines Pastors [fabelhaft wie immer Giancarlo Esposito], der seine Familie mit äußerster Strenge regiert. Mylene hat eine wunderschöne Stimme und will nur singen – und zwar nicht nur Kirchenlieder für die Gemeinde ihres bigott-despotischen Vaters, sondern Disco. Sie hat das Zeug, den Willen – und Onkel [dein freundlich-bedrohlicher Gangsterboss/Bezirkspolitiker Jimmy Smits], der sie in ihrem Vorhaben voll unterstützt. Wird Ezekiel ihrer Karriere nur im Weg stehen?

Mylene und Ezekiel – sie wollen raus aus der Bronx

Mylene und Ezekiel – sie wollen raus aus der Bronx

Groß aufgefahren

Netflix hat an nichts gespart: Nach Stranger Things [lest hier unseren Beitrag zu der Serie] hat The Get Down durchgehend Spielfilmqualität und vermeidet eine episodenhafte Geschichte. Erdacht wurde sie vom erfolgreichen australischen Regisseur Baz Luhrman, der bei der ersten Folge sogar Regie geführt hat. Diese hebt sich auch vom Rest der Serie ab. Ob das jetzt Gutes oder Schlechtes bedeutet, ist wohl Geschmackssache. Luhrman ist ja bekannt dafür, dass er es gern übertreibt – wer Romeo and Juliet, Moulin Rouge oder The Great Gatsby gesehen hat, weiß, was damit gemeint ist. An manchen Stellen gerät die erste Folge etwas zu revuehaft und surreal. Trotzdem bietet sie den richtigen Anreiz, an der Serie dranzubleiben.

Eine Serie mit Charakter(en)

Visuelles dahingestellt – was wirklich zählt sind die Geschichte und deren Figuren. Ich bin begeistert, wie viele gute Rollen es gibt und wie großartig diese besetzt sind. Selbst der als Schauspieler schwächere Jaden Smith, Sohn von Will Smith, ist entsprechend seinen Fähigkeiten gut eingesetzt.

Die Story ist zwar um Ezekiel und Mylene herum aufgebaut, aber viele Nebenfiguren, ihre Freunde, Familien oder die Gangster, sind genauso interessant gezeichnet – sogar fast noch facettenreicher als die beiden Protagonisten. Dass Ezekiel und Mylene etwas brav wirken ist sicher kein Versehen. Ich habe das als Teil des Konzepts verstanden. Während die Geschichte von Ezekiel und Mylene gerade so am Seifenopernhaften vorbeischrammt, bilden die anderen als realistischere Charaktere den Rahmen, welcher der Serie Authentizität verleiht.

Gangster und Disco King – eine unter vielen schillernden Figuren: Cadillac – groovy, verrückt und bedrohlich gespielt von Yahya Abdul-Mateen II

Gangster und Disco King – eine unter vielen schillernden Figuren: Cadillac – groovy, verrückt und bedrohlich gespielt von Yahya Abdul-Mateen II

Aus den vielen herausragenden Leistungen ist es fast ungerecht, eine Figur besonders hervorzuheben. Doch Shaolin Fantastic verdient eine eigene Erwähnung. Er ist in der ersten Folge eine fast schon mystische Gestalt – ein Sprayer, den alle bewundern. Wenn er auftaucht, dann wird das begleitet von chinesischen Klängen, und er legt immer einen Auftritt mit smoothen Kung Fu-Moves hin. Er scheint dabei auch die Gesetze der Schwerkraft zu überwinden. In Wahrheit ist jedoch nur ein ganz normaler junger schwarzer Mann, wie alle anderen auch. Er ist einerseits Begleiter und gleichzeitig Gegenpart zu Ezekiel. Beide verbindet die Musik. Doch wo Ezekiel danach strebt, das Ghetto zu verlassen, scheint Shaolin ganz in die fast schon vorbestimmte kriminelle Bahn abzurutschen.

Warum ihr das unbedingt sehen sollt

The Get Down ist großartige Unterhaltung. Geschichte und Umsetzung werden nicht in jedem Detail alle Geschmäcker oder Erwartungen zufriedenstellen. Aber es lebt von der großartigen Besetzung und der Vielfalt schillernder und interessanter Charaktere – und das vor dem Hintergrund der Entstehung einer Underground-Szene, deren Einfluss noch heute unsere Musik prägt.

Meine Bewertung auf IMDB: 9 von 10 Punkten

Zehn. Normalerweise gebe ich bei meinen Kino- und Serien-Berichten erst ganz zum Schluss meine Bewertung ab. Aber heute muss ich gleich am Anfang damit herausplatzen: Stranger Things bekommt 10 von 10 Punkten. Ganz eindeutig.

Die Handlung

Ein Junge, Will Byers, verschwindet auf dem abendlichen Nachhauseweg. Dafür taucht wenig später ein anderes Kind auf. Alle suchen Will: seine Freunde, Mike, Dustin und Lucas, seine überforderte und psychisch instabile Mutter, Wills Bruder Jonathan und natürlich die Polizei. Alle haben ihre eigenen Hinweise. Doch je mehr Hinweise es gibt, desto mysteriöser wird die Geschichte. Was hat das Energieministerium damit zu tun? Gibt es Monster? Und: Was hat der Floh dem Zirkusakrobaten voraus?

Wie aus meiner Kindheit

Stranger Things hat mich in meine Jugend und Kindheit zurückversetzt – auf die schönste Art und Weise. Die Serie spielt im Jahr 1983 und erweist Büchern und Filmen der 70er und 80er Jahre ihren Respekt. Story und visuelle Anleihen verstehen sich als Hommagen an die Werke von Stephen King und Steven Spielberg. Sie reichen von ET zu Stand By Me. Doch Stranger Things ist bei Weitem keine bloße Mischung aus bekannten Versatzstücken. Die Serie ist sogar überaus eigenständig.

Mike und Eleven – mit den unpraktischen „Handys“ der Jugend der 70er und 80er Jahre: groß, schwer und nur ein paar Hundert Meter Reichweite

Mike und Eleven – mit den unpraktischen „Handys“ der Jugend der 70er und 80er Jahre: groß, schwer und nur ein paar Hundert Meter Reichweite

Es ist schwer, viel über Stranger Things zu berichten, ohne wichtige Handlungsverläufe und Twists zu verraten. Nur so viel sei gesagt: Es ist eine Geschichte um ein Geheimnis und über Zusammenhalt. Zusammenhalt unter Freunden, Geschwistern und in der Familie. Anders als es bei anderen Serien gibt es keine Nebengeschichten – alles konzentriert sich darauf, Will zu finden und das Geheimnis, das sich auftut, zu ergründen.

Das Schöne dabei ist: Wills Freunde, ältere Geschwister, Eltern und die Polizei – sie alle haben dasselbe Ziel. Zwar beginnen sie von verschiedenen Ausgangspunkten, doch die einzelnen Personen und Gruppen werden zum Schluss zusammengeführt. Dabei verzichtet die Story darauf, gewissen Klischees zu folgen: Keiner von Wills Freunden ist der Trottel, der die Bemühungen der Gruppe wiederholt fast zum Scheitern bringt. Keines der älteren Teenager-Geschwister ist nur auf Sex und Parties aus. Keine der Eltern sind einfach nur ignorant. Und die Polizei ist nicht korrupt und nicht zu borniert, um zu erkennen, dass hier etwas sehr mysteriöses passiert.

Fantastischer Cast

So gut die Figuren geschrieben sind, so großartig werden sie auch von den Schauspielern ausgefüllt. Die Kinder können mehr als nur gut BMX-Räder fahren und Dungeons and Dragons (das eine gewisse Rolle in der Story hat) spielen, sondern wirklich gut schauspielern. Wills Freunde sind sehr eigenständige und glaubwürdige Charaktere, die sich auch wie richtige 12-Jährige verhalten. Ja, sie sind alle Nerds, aber sie besitzen unterschiedliche, sehr ausgeprägte Persönlichkeiten. Was sie gemeinsam haben, ist ihre Neugier, ihr Wille, ihren verschwundenen Freund zu finden, und ihr Mut.

Am meisten glänzt jedoch Millie Bobby Brown als das seltsame Mädchen Eleven. Sie muss auf eine sehr zurückgenommene Art und Weise, eine große Bandbreite von starken Gefühlen ausdrücken – ich hätte nicht gedacht, dass eine 12-Jährige dazu überhaupt imstande ist.

Die schauspielerische Antipode dazu ist Winona Ryder. Sie war eine der Ikonen der Generation X und verschwand Ende der 90er Jahre aus der A-Liste der Hollywood-Stars. Winona Ryder spielt die Mutter des verschwundenen Will Byers. Anfangs wirkte ihr übertriebenes Spiel auf mich völlig unpassend, doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr passt diese Art zu spielen zu der Alleinerzieherin, die ihre Kinder liebt, aber nicht immer so für ihre beiden Söhne da sein konnte, wie sie es gerne wollte – bedingt durch psychische Probleme und viele Arbeitsstunden in einem schlecht bezahlten Job, mit dem sie ihre Familie durchbringt. Sie ist überzeugt, fast besessen davon, dass ihr verschwundenes Kind noch lebt. Ihr Umfeld sieht das anders und hält sie für verrückt.

Wills Mutter (Winona Ryder) glaubt, dass Will mit ihr Kontakt aufnimmt, wenn Sie sämtliche Weihnachtsbeleuchtung aufhängt

Wills Mutter (Winona Ryder) glaubt, dass Will mit ihr Kontakt aufnimmt, wenn sie sämtliche Weihnachtsbeleuchtung aufhängt

Die Geschwister unserer jungen Helden, sind im Teenager-Alter. Wills Bruder, Jonathan [Charlie Heaton] und Nancy [Natalia Dyer], die Schwester von Wills bestem Freund, Mike, gehören aber nicht derselben Clique an. Jonathan gehört nämlich zu gar keiner Clique – das liegt an seiner finanziell benachteiligten Herkunft genauso wie an seiner Introvertiertheit. Die gut behütete Nancy stammt aus einer typisch, einigermaßen glücklichen Kleinstadtfamilie. Sie ist auf dem Weg, so zu rebellieren, wie Film-Teenager es tun – um ja bei den anderen beliebt zu sein. Doch sie ist eine kluge, empathische junge Frau und erkennt, dass klischeehaftes Teenagerverhalten keine Rebellion ist.

Der Sheriff der Stadt, Jim Hopper [David Harbour], befindet sich persönlich und beruflich in einer Sackgasse. Er lässt sich gehen, denn nach dem Tod seiner Tochter und dem Scheitern seiner Ehe sitzt er wohl im kriminalistisch langweiligsten Kaff der USA. Er wird durch das Verschwinden von Will Byers aus seiner Resignation herausgerissen und beweist, dass er ausgezeichneten Spürsinn besitzt und noch immer zu hervorragender Ermittlungsarbeit fähig ist.

Die Liste der interessanten und sehr authentischen Figuren ist lange, ebenso wie die Liste der Darsteller, die diese verkörpern. Aber überzeugt euch einfach selbst.

Lasst euch überraschen

„Stranger things have happened“, sagt man im Englischen. Es bedeutet so viel wie „Das überrascht mich nicht“. Auf Stranger Things trifft das nicht zu: Überraschungen gibt es überall – von der Geschichte zu den Darstellern. So muss Film und Fernsehen sein: frisch, aufregend und äußerst sehenswert. Netflix hat hier einen echten Volltreffer gelandet.