Interessantes zum Thema Spiritualität

Hermann (Mitte) und Peter „erarbeiten“ sich Gespräch in Kirchberg bei Kitzbühel

Das Experiment „Wanderapostel“ startete in Hopfgarten bei Kitzbühel im Tiroler Unterland. Mittags bei strömenden Regen gingen wir los. Ohne Geld, Verpflegung, nicht wissend, wo wir schlafen würden. Es gab kein geographisches Ziel, wohl aber ein inhaltliches. Auftrag war es, aufmerksam zu machen für die Aktionswoche „Offener Himmel“ der Erzdiözese Salzburg einerseits, andererseits mit Menschen direkt ins Gespräch zu kommen über Lebens- und Glaubensfragen. Wir ließen uns führen von der Intuition. Wir läuteten an den Häusern und stellten uns als Wanderapostel vor. Die Reaktion der Menschen war sehr unterschiedlich: Von totaler Ablehnung, über „darüber wollen wir euch ein andermal hören“ bis hin zu echtem Interesse. Viele Menschen waren dankbar, einmal ihre Meinung zur Kirche loszuwerden. Dabei kam vieles zur Sprache: Der Pflichtzölibat (Verpflichtung zu Ehelosigkeit und sexueller Enthaltsamkeit) für Priester solle aufgehoben werden. Der Kirchenbeitrag (1% des Bruttoeinkommens in Österreich) sei zu hoch. Die junge Generation interessiere sich nicht mehr für Religion und Kirche. Ein großes Ärgernis sind die Missbrauchsfälle, die in der Kirche stattgefunden haben. Manchmal fühlten wir uns wie Mülleimer für Abfall, den wir nicht produziert haben.

Wir hörten auch viele Sorgen: Wie wird der Kirchenbesuch in 20 Jahren aussehen? Sind die Kirchen dann leer? Sollte Friedrich Nietzsche Recht behalten wie im bekannten Aphorismus 125 in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“? „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes sind?“ Die Menschen machen sich Sorgen um die Umwelt. Wird ihre schöne Tiroler Landschaft schon in naher Zukunft unwiederbringlich zerstört sein? Welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?

Uns wurden auch Einblicke in soziale Härtefälle gewährt, aus denen es sehr schwer ist, sich zu entziehen. Wo man gleich helfen möchte, aber merkt, dass die Verstrickungen und Abhängigkeiten so groß sind, dass es hier keine einfachen Lösungen gibt. Da war ich auch froh, dass es kirchliche Stellen gibt, die Auffangnetze und konkrete Hilfe anbieten.

Wir führten auch Glaubensgespräche. Viele Menschen glauben an Gott, oder an eine letzte Wirklichkeit, möchten aber mit Kirche nichts oder nur wenig zu tun haben. Andere wünschen sich eine stärkere Kirche, die sich wirklich auf die Lebensfragen der Menschen einlässt.

Die Aktion „Offener Himmel“ mit ihren zahlreichen Veranstaltungen mit zum Teil experimentellem Charakter fand bei den Menschen Anklang. Hier wird eine Kirche sichtbar, die auf die Menschen zugeht, offen ist für neue Formen und die sich an andere Religionen annähert. Eine Kirche, die das Verbindende sucht. In diesem Klima wurden wir Wanderapostel voll respektiert. Wir spürten die Gastfreundschaft der Tiroler und fanden für jede Nacht ohne Probleme eine Bleibe. Für die Tage brauchten wir keinen Cent.

Das Projekt ist gelungen. Du hast im Grunde keine andere Wahl, als dich spontan und radikal auf alles einzustellen, was dir begegnet. Jede Begegnung war Anstoß für die eigene Entwicklung. Wir wurden mit jedem Kontakt selbst verändert. Leben ist nichts Statisches, sondern ist in ständiger Veränderung. Diese Form des Gehens macht letztendlich zufriedener, vertrauensvoller und nimmt Ängste vor der eigenen Zukunft. Und es macht mich offener für Menschen auf der Flucht. Menschen, die unfreiwillig aufbrechen müssen, weil sie keine Zukunft mehr haben in ihrer Heimat. Vor allem aber stärkt es die eigene Dankbarkeit, dass alles im Leben Geschenk ist.

http://www.youtube.com/watch?v=DUjX1FwD-ew

Haben Sie das schon einmal ausprobiert? Einfach losgehen. Ohne etwas zum Essen mitzunehmen, kein Geld, keine Kreditkarte, kein Auffangnetz, nur eine Flasche Wasser. Nicht wissen, wo man am Abend schläft. Einfach darauf Vertrauen, dass jemand die Tür öffnet und etwas zu essen bereitet. Man bricht auf, ohne ein Ziel, das man erreichen muss. Einfach nur einer inneren Sehnsucht folgen. Getragen allein von der Grundhaltung der Offenheit gegenüber dem Augenblick. Was begegnet mir unterwegs? Mit wem komme ich ins Gespräch? Worüber werden wir reden?

Nach meiner Matura wollte ich mich auf diese Weise mit einem Freund auf den Weg machen. Es wurde nichts daraus, da die Vernunft und das Sicherheitsdenken über das innere Gefühl und die eigene Sehnsucht siegte. Wie so oft im Leben.

Kommende Woche werde ich es tun. Losgehen mit einem Begleiter. Schauen, atmen, staunen, schwitzen, offen sein, nichts bewerten, da sein, Gespräche über das Leben führen, mit meiner Seele in Kontakt kommen, beten, frei sein und mich des Augenblicks erfreuen. Also nicht über vergangene Chancen nachdenken, oder in der Zukunft liegende Projekte planen, sondern ganz im Jetzt leben.

Mehr dazu in einer Woche hier auf zartbitter.

Seit einigen Jahren schwinge ich mich im Mai auf das Fahrrad und dann geht’s ab nach St. Radegund in Oberösterreich. Der winzige Ort im Innviertel ist der Geburtsort von Franz Jägerstätter. Jägerstätter hat im zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigert. Grund dafür war aber nicht irgendeine Form von Feigheit. Sondern er verweigerte jede Form der Unterstützung des nationalsozialistischen Systems. Dazu brauchte es großen Mut.
Er war kein Fanatiker. Seine Grundlagen waren sein Glaube und sein Gewissen. Und in der Folge die Konsequenz, für seine Haltung ein zustehen bis zu seiner Hinrichtung am 9. August 1943. Es gibt in dieser dunkelsten Zeit unserer Geschichte Millionen von Opfern des Systems. Was diesen Fall so außergewöhnlich macht ist, dass er sehr gut dokumentiert ist. Nicht zuletzt aus dem Briefverkehr mit seiner Frau Franziska.
Jägerstätter ist mir deswegen so sympathisch, weil er ein ganz einfacher Bauer war. Auch wenn ihn die Katholische Kirche 2007 selig gesprochen hat, so macht es wenig Sinn, ihn abgehoben und entrückt darzustellen. Seine Ausbildung reichte nicht über die Grundschule hinaus. Dennoch liebte er es zu lesen. In seiner alternativen Lektüre liegt auch der Schüssel für seine kritische Haltung dem Regime gegenüber.
Seine wichtigste Begleiterin in seinem Leben war seine Frau Franziska. Die heute 99 jährige Frau ist immer zu ihm gestanden. Sie hat seine Entscheidung akzeptiert, auch wenn es mit den drei Kindern extrem schwer für sie gewesen ist. Nach dem Krieg bekam sie anfangs nicht einmal eine Witwenpension. Das war für Deserteure nicht vorgesehen.

Franziska Jägerstäter mit Angelika Bamer-Ebner

Wenn Jägerstätter für sein Verhalten kritisiert wird, er habe sein Vaterland und sein Familie im Stich gelassen, dann fällt mir nur ein: Wenn mehrere so gehandelt hätten wie er, und eine kritische Masse des inneren Widerstands sich gebildet hätte, hätte das bestialische System keine Chance gehabt. Er schreibt in einer Aufzeichnung nach seiner Verurteilung zum Tode: „Wenn ich sie [meine Worte] auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre.“ Dieser Mensch imponiert mir einfach und ist ein Stachel im eigenen Fleisch, dass ich es mir selbst gemütlich in meinen abgesicherten Lebensumständen mache. Er gibt mir Kraft, selbst mutig gegen Ungerechtigkeiten aufzutreten.

Am 19. Mai ist es wieder soweit: Rauf auf das Bike und ab nach Radegund …

 

 

Schwienhorst Schönberger

Samstag Morgen, leichter Nieselregen, der Winter scheint noch nicht vorüber zu sein. Dennoch: Ein guter Tag, um große Dinge zu tun: Den Weg nach Innen zu gehen. Einen Tag sich Zeit zu nehmen, um bewusst Spuren Gottes zu entdecken. Schon spannend, denn 50 Männer kommen da zu einem Männertag mit dem Titel „Tabu Spiritualität“ ins Bildungszentrum St. Virgil.
Religionssoziologen meinen, Spiritualität sei Frauensache. Tendenziell stimmt das. In Seminaren kommen im Normalfall drei Viertel Frauen, wenn es um spirituelle Themen geht. Warum? Steht Spiritualität im Gegensatz zur Rationalität? Spreche ich von Spiritualität, wenn ich nicht mehr weiter weiß? Ist das Ganze nichts für gestandene Männer? Haben Männer Angst? Wenn ja, wovor?
Der vage Begriff gehört definiert. Spiritualität „zeigt uns wie die Wirklichkeit in Wahrheit beschaffen ist“, meint der Referent des Männertages Schwienhorst-Schönberger. Da geht es nicht um Weltflucht. Das Sitzen von 20 bis 30 Minuten am Tag führt zu einer geschärften Wahrnehmung der Wirklichkeit. Gedanken tauchen dabei auf. Probleme die mich beschäftigen, oder sogar belasten. Aber auch die andere Seite mit beglückenden Bildern, die mich bereichern. Ich gebe ihnen kein Gewicht, gleichgültig ob positiv oder negativ. Ich lasse sie los. Auch meinen Willen.
Der Weg ist radikal. Er ist kritisch gegenüber allen Bildern, auch den Gottesbildern. Den Vorstellungen, die ich mir oder wir uns über Gott machen. Selbst bei einem atheistischen Zugang zu Gott macht man sich bestimmte Bilder, die dann abgelehnt werden. Werden Vorstellungen absolut gesetzt führen sie zu Fanatismus und Ideologien. In diesem Sinne lasse oder werde ich Gott los. Und bin dennoch zutiefst überzeugt, dass es eine göttliche oder letzte Wirklichkeit gibt, die mein Leben bestimmt. Das ist paradox. Auf jeden Fall ist es ein offener Prozess, den ich sehr aufregend finde.
Hier ist auch eine interessante Spur für den gewaltfreien interreligiösen Dialog.

 

2012 ist ein besonderes Jahr. Das Reden über den Weltuntergang ist gerade wieder chic. Weltuntergangsphantasien kehren in regelmäßigen Abständen wieder. Aber – keine Angst – sie wird nicht untergehen. Irgendwann schon einmal, aber nicht heuer. Tatsache ist, dass wir in ständigen Veränderungsprozessen leben. Ständiger Wandel ist die Normalität. Unser Körper, unsere Zellen, unsere Umgebung, unsere Umwelt und die Menschen um uns herum. Auch Institutionen (politische, gesellschaftliche, religiöse) verändern sich, beziehungsweise haben den Druck, sich zu verändern. Ob sie es wollen oder nicht. Ich behaupte sogar, wenn sie die Veränderung verweigern, dann sind sie dem Untergang geweiht.
Einen Blick in die Zukunft machte der Poet und Songwriter Leonard Cohen im Jahr 1992 mit seinem Album „The future“. Dieses Album ist eines seiner politischsten Werke. „I’ve seen the future, it is murder“. Er hatte damit nicht Unrecht. So führten die USA mit George Bush sen. den ersten Irakkrieg. Ziel dieses Krieges war das Öl. Menschliche Opfer wurden als Kollateralschäden bezeichnet. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sprach ebenfalls im Jahr 1992 vom „Ende der Geschichte“ und meinte damit den Untergang der UDSSR. Durch das Ende der sozialistischen Staaten sei der Weg frei für den Liberalismus im Sinne der liberalen Marktwirtschaft. Dass diese Lehre nur für einen kleinen Bruchteil der 7 Milliarden Menschen eine heilsame ist, ist auch klar.
Das eigentliche Meisterwerk von Leonard Cohen war in diesem Jahr jedoch „Anthem“. „There is a crack in everything, that’s how the light get’s in“. Nach eigenen Aussagen schrieb er an dieser Hymne mehr als zehn Jahre. Sie ist poetisch, politisch, spirituell und von tiefer Wahrheit. Jedes Wort ist wohl gewählt. Nichts ist in dem Lied dem Zufall überlassen. „Hänge nicht an dem, was vergangen ist, oder was in der Zukunft liegt.“ Er singt vom Leben im Jetzt, in der Gegenwart. „Wir fragten nach Zeichen, die Zeichen haben wir erhalten.“ Wir brauchen nur die Augen aufmachen, schauen was in unserer Welt geschieht. Und nun das Erstaunliche: „Es gibt einen Riss / Bruch in allen Dingen, doch genau hier kommt das Licht herein“. Genau in den Brüchen unseres Lebens, in den Veränderungsprozessen unserer Gesellschaft, im Miko- und Makrokosmos geschieht das, was wirklich wichtig ist. Genau hier sind die Orte, an denen das Leben wesentlich wird. Das ist spannend und herausfordernd zugleich. Hier habe ich die Chance die Geschichte mitzugestalten. Heute, jetzt am 2. Februar 2012.

Buchrezension: Richard Rohr: Die Männer-Bibel

Ein Buch “Die Männer-Bibel“ zu nennen ist ein starkes Stück, vergleicht man es mit dem Buch der Bücher. Schon allein deshalb weil das Alte und Neue Testament in einem Prozess von mehr als tausend Jahren von verschieden Verfassern formuliert worden ist, und gedeutete Glaubenserfahrungen von Menschen mit ihrem Gott in verschiedenen geschichtlichen Kontexten eingeflossen sind. Außerdem dient die Bibel als Grundlage für zwei Weltreligionen.
Dem gegenüber stammen die Texte von der Männer-Bibel von einem Mann. Nun ist dieser Mann kein Unbekannter. Richard Rohr gilt wie kein anderer als Motor für die spirituelle Männerarbeit in den vergangenen 20 Jahren in Nordamerika und Europa. Genau aus diesem Zeitraum stammen die Texte des aktuellen Sammelbandes. Zusammengestellt wurde er von Joe Durepos und Tom McGrath. Sie leisteten die redaktionelle Arbeit und wählten aus Audioaufnahmen, Büchern, Notizen seiner Vorträge, unveröffentlichtem Material und täglichen Meditationen die für Männer besonders ansprechenden Themen aus.
Ein kurzer Blick auf den Titel des englischen Originals „On the Threshold of Transformation“ (übersetzt: An der Schwelle der Veränderung) gibt Aufschluss über den genaueren Inhalt. Es handelt sich dabei um Kernbegriffe in Rohrs spirituellem Ansatz, der christliche Traditionen mit Einsichten aus der Pychologie, Mythologie und Anthropologie verbindet. In den 20 Jahren spiritueller Männerarbeit, Einkehrtagen, männlichen Initiationsriten und seiner Arbeit in Gefängnissen stellt Rohr fest, dass sich der typisch westliche Mann abgeschnitten fühle. Er sei „in sich selbst gefangen, ohne ein inneres Universum, das ihm Sinn, Heilung und Halt vermittelt.“ Der gesellschaftliche Druck, dass sich Männer in der Außenwelt profilieren, in der es im Grunde nur Gewinner und Verlierer gebe, erschwert innere spirituelle Entwicklung.
Der vorliegende Band ist übersichtlich gegliedert. Für jeden Tag gibt es einen kurzen thematischen Impuls. Am Ende ist zu jedem Meditationstext eine Frage formuliert, die zur persönlichen Reflexion einlädt. Der Einstieg ist jederzeit möglich, da es nicht an Jahreszeiten oder Feiertage gebunden ist.
Prädikat: Der Sammelband ist echt brauchbar für Männer, die innerlich wachsen möchten. Ein heilsames Buch besonders in Veränderungsprozessen. Meditierenswert.