Ob Zufall, Schicksal oder Bestimmung. Manchmal führt einen das Leben zu einem Platz, der einen das ganze Leben begleitet. Ich danke meinen Freunden Leyla und Süleyman, die mir diesen Ort ins Herz gepflanzt haben.

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Im Minipark

Es ist Kuzguncuk, ein kleiner Stadtteil in Istanbul, auf der asiatischen Seite. Erstmals kam ich 1997 dorthin, Leyla hat mich eingeladen in das Haus ihrer Eltern. Das Haus stand auf der Anhöhe über dem Bosporus mit einem magischen Blick über den großen Friedhof hin zur Bosporusbrücke. Damit war ich mittendrin in der Geschichte von Kuzguncuk. Leylas Eltern kamen Ende der 1960er Jahre vom Schwarzen Meer nach Istanbul. Sie bauten das Haus, ein Gecekondu- Bau. Das heißt „Übernachtbau“. Schaffte man es vier Wände und ein Dach über Nacht zu bauen, dann konnte man nicht mehr vertrieben werden. In Istanbul gibt es zigtausende Gecekondu-Bauten, aber sicher nur wenige, die über eine solche Aussicht verfügten. Dahinter erstreckte sich ein militärisches Sperrgebiet. Und neben dem Haus war ein Stall. Leylas Mutter hatte Kühe und Hühner, mitten in der Metropole. Die Familie war, wie unzählige andere nach Istanbul gekommen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Kuzguncuk war damals das Ziel vieler Menschen vom Schwarzen Meer. Hier war die laute Stadt weit genug weg und es gab Platz.

Multikulti damals

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Eingang zur Synagoge


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Moschee und Kirche

Ursprünglich war Kuzguncuk seit dem 16. Jahrhundert ein Viertel, das von spaniolischen Juden, Armeniern und Griechen besiedelt wurde. Hier entstand ein multikultureller Stadtteil, über Jahrhunderte funktionierte das bunte Zusammenleben. In den 1950er Jahren allerdings, unter der Regierung Menderes, kam es zu Pogromen gegen die christlichen Minderheiten in Istanbul. Auch wenn in Kuzguncuk die Lage weitgehend friedlich blieb, verließen es  doch auch viele Griechen endgültig. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung ging schon vorher, bevorzugt in das neu gegründete Israel, einige auch in die USA. Aber es blieben auch Juden und Christen in Kuzguncuk. Heute versammeln sich die Armenier in ihrer Kirche jeden Mittwoch, um Gottesdienst zu feiern. Am Samstag kann man jüdische Gläubige auf dem Weg in die Synagoge treffen. Und sonntags versammeln sich die Orthodoxen zur Messe.

Das andere Multikulti

kuz6Seit einigen Jahren ist Kuzguncuk das, was man ein „gentrifiziertes Viertel“ nennt. Die alten Häuser sind liebevoll renoviert. Natürlich nicht von armen Einwanderern, sondern von Anwältinnen, Künstlern, Ausländerinnen und allen, die das nötige Kleingeld haben. Noch vor zehn Jahren gab es in Kuzguncuk bis auf eine Ausnahme nur die typischen Cafes für Männer. Heute sind sie in der Minderzahl. In jedem dritten Haus in der Hauptstraße ist ein Cafe, ein Atelier, eine Galerie. Auch ein Laden mit biologischen Lebensmitteln ist hier zu finden.  Meine Freunde konnten vor zehn Jahren durchs Viertel spazieren und trafen an jeder Straßenecke bekannte Gesichter. Das ist vorbei, man kennt sich nicht mehr so wie früher. Aber trotzdem hat sich die Atmosphäre des Viertels gehalten. Es ist multikulturell und multireligiös. Die alten Gebäude, in denen gebetet wurde, sind nicht mehr so voll. Aber sie zeugen vom friedlichen Zusammenleben, das die Zeiten hier überdauert hat. Wo sonst findet man eine armenische Kirche und eine Moschee Seite an Seite? Und gleich ums Eck steht die Synagoge. Ein Stückchen weiter die Straße rauf und man steht vor der orthodoxen Kirche. Es gehört zu meinen schönsten spirituellen Momenten, wenn der Muezzin zum Gebet ruft und gleichzeitig die Kirchenglocke läutet.

Überraschung am Friedhof





kuz1Der größte jüdische Friedhof der Stadt ist in Kuzguncuk zu finden. Und der griechisch-orthodoxe Friedhof hält eine große Überraschung bereit. Vor 14 Jahren war ich erstmals dort, bin durch die Reihen der Gräber spaziert. Leider konnte ich nichts lesen, es war alles in griechischen Buchstaben geschrieben. Bis ich in der letzten Reihe auf ein Grab stieß, das mit lateinischen Buchstaben beschriftet war:

Maria Salzburg 1909-1962

Was für ein Augenblick, hier in Kuzguncuk ist eine Frau begraben, die Salzburg heißt!

Auszeit nehmen

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Abendstimmung


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Morgenruhe

Ich kann nur jedem Istanbul-Reisenden raten nach Kuzguncuk zu kommen. Es ist das andere Istanbul, weit weg vom Lärm der Metropole und doch mitten drin. Es fällt sofort jeglicher Stress von einem ab. Man wandert durch die Straßen und Gassen und bestaunt die schönen Häuser. Dabei trifft man nicht nur Menschen sondern auch unzählige Straßenkatzen und Straßenhunde.

Es gehört hier in Kuzguncuk zum guten Ton den Tieren Wasser und Fressen hinzustellen. Und wenn man dann vom Umherlaufen hungrig ist, kann man vorzüglich essen. Entweder ein Lahmacun, eine türkische Pizza, beim Ekmek Teknesi oder einen frischen Fisch beim Ismet Baba direkt am Wasser. Der Tag klingt dann in dem winzigen Park am Bosporus aus, wo sich alle auf Gläschen Tee hinsetzen und einfach genießen.

Ich freue mich auf meinen nächsten Besuch dort!